SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wo ist Gott?
Nach der jüdischen Glaubenstradition ist Gott auch in guten Gesetzen. Auf Hebräisch heißen die 10 Gebote darum „assereth ha dewarim“- Die 10 Worte, die Gott gesprochen hat.
Wir Christen haben dieses jüdische Erbe zwar angenommen. Aber zugleich Gebote und Regeln religiös abgewertet. Christen sehen Gott eher in der Freiheit, in der Liebe. In Regeln und Geboten eher nicht. Aber vielleicht ist das ein Fehler.

Dieser Gedanke beschäftigt mich sehr in den letzen Wochen.

Ich habe immer wieder dieses Bild vor mir: Grenfell Tower, das Hochhaus in London, in dem vor ein paar Wochen so viele Menschen verbrannt sind. Immer wieder sehe ich es vor mir: Das rußschwarze Gerippe. Muss an die Menschen denken. Und auch die Frage nach Gott kommt hoch.

„Wo warst Du, Gott, an den viele von den Menschen geglaubt haben, die das erdulden mussten? Ich glaube, beiseitegeschoben hat man ihn, verdrängt, an den Rand gedrückt. Mit diesen Menschen zusammen. Als man ihnen zugemutet hat, in diesem Haus zu wohnen, weil sie arme Leute sind. An den Rand gedrängt hat man sie und Gott. Indem man sinnvolle Gesetze beiseitegeschoben hat. Und ein Haus für Menschen so verkleidet, dass es zur Hölle werden konnte. In einem Hochhaus für Wohlhabendere hätte man gute Brandschutzregeln wohl nicht so missachtet.

Wo war Gott?

Ich hoffe bei den Menschen, die in diese Hölle geraten sind. Vielleicht kommt Ihnen das fremd vor: Aber ich muss bei Grenfell Tower an diese Stelle im Glaubensbekenntnis denken, das wir Christen bekennen: Jesus, gekreuzigt gestorben und begraben. Und: Hinabgestiegen in das Reich des Todes. Als Junge habe ich anstatt ‚Reich des Todes‘ noch gelernt ‚hinabgestiegen in die Hölle.‘
Wo war Gott? Zusammen mit diesen Menschen in diese Hölle gedrängt. Weil andere Brandschutzgesetze außer Acht gelassen haben. Aus welchen Gründen auch immer. Aus Gedankenlosigkeit, weil sie Geld sparen wollten. Weil sie anderen Göttern folgen? Der Rendite. Ihren Interessen.

Für die armen Menschen in Grenfell Tower hätten gute Gesetze Leben bedeuten können. Wenn sie die „Freiheit“ der Bauherren begrenzt hätten. Ja, ich glaube, Gott spricht und wirkt auch aus guten Gesetzen.

Wenn Ihnen dieser religiöse Gedanke fremd sein sollte:
Der Philosoph Jean Jacques Rousseau hat etwas Ähnliches weltlich formuliert: Er hat geschrieben: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken, ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Recht, das befreit.“

Gerade die Armen und Schwächeren brauchen gute Gesetze. Damit sie nicht verdrängt werden können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24569
weiterlesen...