SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Allerseelen gestern, Volkstrauertag demnächst, dann Totensonntag – der November erinnert bevorzugt an die Toten. Ob es an der herbstlichen Jahreszeit liegt, mit der Stimmung des zu Ende gehenden Jahres, abnehmend die Tage und das Tageslicht? Auffällig ist es schon. Die elf Monate sonst geht das Leben biovital beschleunigt seinen Gang. Sterben und Tod sind gesellschaftlich möglichst kein Thema; nur wer betroffen ist, sucht nach Bewältigung. Insgesamt tun wir so, als gehe das Leben munter so weiter, von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Sind diese Novembertage ein Alibi? Irgendwie weiß jeder von uns, dass das Leben sterblich ist, der Tod eine unentrinnbare Realität. Aber bis zuletzt können wir uns das definitive Ende nicht vorstellen. Sind wir Menschen Wesen der Illusion oder gar des Selbstbetrugs? Lebensverlängerung um jeden Preis und überall – ist das ein Phantom, dem wir nachjagen?
Verrückt genug – die einzigen in unserer Gesellschaft, die das ganze Jahr über Sterben und Tod ernst nehmen, sind die Christen. Sonntag für Sonntag gedenken sie ausdrücklich der Toten, beten für sie und erbitten ihre Fürsprache. Wer wirklich glaubt, tut das nicht nur sonntags. Im Mittelpunkt des christlichen Osterglaubens steht ja ein Toter. Nicht ausgelagert bloß in den November, können wir das ganze Jahr über den Tatsachen ins Gesicht sehen: das Leben ist sterblich, jeder Augenblick kostbar, dieses Leben gleichermaßen schrecklich hinfällig und aufregend beglückend. Wo alle Welt die Toten eher vergisst, gedenken wir ihrer. Wo alle so tun, als finge die Welt und das Leben mit ihnen selbst erst an, gedenken wir unserer Vorfahren, auf deren Schultern wir stehen – im Leben wie im Glauben. Hinterbliebene sind wir alle! Aber das ist kein Grund um im Abschiedsschmerz zu versinken oder nostalgisch zu werden. Es ist aber auch kein Anlass, die Wirklichkeit zu halbieren und Sterben und Tod auszulagern und zu isolieren, so als dürften sie nicht sein. Zwischen Lebenden und Toten, zwischen Vorfahren und Nachkommen entsteht im Glauben ein Generationenvertrag, mehr noch: eine tiefe Solidarität, eine wechselseitige Verbundenheit. Was die Toten nicht schafften, hinterlassen sie uns als Erbe und Auftrag. Das gilt auch für uns: was wir an Reichtum und Müll produzieren, geht zu Lasten der nachkommenden Generation. Der christliche Osterglaube befreit zu einem schöpferischen Zwiegespräch zwischen Gegangenen und Kommenden, zwischen Lebenden und Verstorbenen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2444
weiterlesen...