SWR2 Wort zum Tag

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Allerseelen
„Es war gut, dass die Mutter starb. Wir hätten den Stress mit ihrer Pflege nicht länger ausgehalten.“ So gesteht eine erfahrene Frau, nicht ohne Zögern. Ja, der Tod kann auch ein Segen sein. Ein schockierender Gedanke vielleicht, aber höchst realistisch. Nicht nur die üblichen Sätze: „Sie ist nach langer Krankheit sanft entschlafen“ – nein: „Wir sind auch erleichtert, es ist gut, dass sie nun gegangen ist“. Jedes Menschenleben, selbst das liebste, wird auch zur Last. Im Ernst: wie viel Schuld hängt sich im Leben auch an, wie viel Ungutes und Böses verursacht unsereiner im Laufe der Jahre. Der Tod macht dem ein Ende; ist das nicht gut so?
Heute an Allerseelen gedenken wir unserer Toten voller Respekt. Der Gang zum Friedhof, gestern an Allerheiligen oder heute, erinnert uns, von wo wir herkommen und wo wir hingehen. Den eigenen Tod können wir uns ohnehin bis zuletzt nicht vorstellen. Aber das Sterben unserer Liebsten – das ist unvergesslich eingeschrieben in unser Gedächtnis. Schmerz und Dankbarkeit, Trauer und Gedenken – gewiss, gewiss. Aber auch dies: der Tod kann ein Segen sein. Irgendwann darf es genug sein, irgendwann gilt es abzuschließen und zum Ende zu kommen, zur Vollendung hoffentlich. Der Osterglaube gibt uns Christen die kostbarste Perspektive: wir lieben das Leben, selbst noch im Tod und darin erst recht; wir begrüßen aber auch das Ende, wenn es denn da ist. Die ewige Wiederkehr im Kreislauf der Geburten oder die Unsterblichkeit der Seele bloß ist uns zu wenig. Nein, nein, das ganze sterbliche Leben mit seinen hinreißenden Möglichkeiten, aber auch mit seinen Verstrickungen und Schuldgeschichten – das gehört realistisch zusammen. Im Tod wird Platz geschaffen für andere Menschen, die das Abenteuer des Lebens wagen dürfen. In der wunderbaren Litanei von der Gegenwart Gottes, vom niederländischen Priesterdichter Huub Oosterhuis getextet, heißt es: „Sei du uns gnädig und lass uns hoffen. / Denn du bist Gott, warum müssen wir sterben? / Denn nicht die Toten sprechen von dir, / die Toten alle in ihrer Stille. / Doch wir, die leben, rufen nach dir / an diesem Tag, in dieser Nacht“ – und heute, zu Allerseelen, erst recht. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2443
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