SWR2 Wort zum Tag

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Den besagten „Elefanten im Porzellanladen“ kannte ich schon. Von einem „Elefanten im Wohnzimmer“ habe ich erst unlängst gehört – in der Ausstellung „Leben nach dem Überleben“ beim Berliner Kirchentag. Zu sehen sind Fotos und kurze, prägnante Selbstzeugnisse von Jüdinnen und Juden, die verfolgt, vertrieben und erniedrigt wurden - und diese Verbrechen im Nationalsozialismus überlebt haben.

Dr. Martin Auerbach - klinischer Leiter der weltweit vernetzten Organisation „AMCHA“ in Israel – begleitet Überlebende und sieht: Überlebende brauchen lange, lange Zeit – bis sie an die so schwer aussprechbaren Erfahrungen rühren können.Die seien wie ein Elefant im Wohnzimmer. Alle in der Familie sehen ihn, umgehen ihn und keiner spricht davon.

Ich dachte: Elefanten im Wohnzimmer kennst du auch. Die gibt es auch bei dir – auch in deiner Familie – und in vielen Familien, denen ich begegne. Vergehen, Verletzungen, Schuldgefühle - beschämende Erfahrungen, die unausgesprochen mitgehen.

Die werden behutsam umgangen. Das ist oft eine innere Übereinkunft – und die muss auch nicht brachial aufgekündigt werden. Schweigen schützt. Und muss nicht im Schockverfahren gebrochen werden. Das Geheimnis kann – aber muss nicht aufgedeckt, das Schwere nicht geoutet werden.

Es braucht Zeit – es kann Monate – Jahre dauern – behutsame Annäherungen an solche Elefanten Im Wohnzimmer. Für Martin Auerbach heißt das: Nur über das sprechen, was ein Klient will – was er und sie selber nacherleben, nachempfinden will. Niemand wird dazu gedrängt. Es braucht dafür einen freien Raum und freie Zeit – zu sprechen oder auch zu schweigen. Einzeln oder in der Gruppe, mit oder ohne Unterstützung von Therapeuten.

Erst einmal ist es vielleicht nur ein wortloses Drum herumgehen, manchmal schon ein Berühren - manchmal nur ein kurz Spüren, was da im Raum steht – um dann wieder einen Bogen darum zu machen. Ein Wort von Jesus kommt mir da wie ein Lockruf vor, den Elefanten im Wohnzimmer  nicht ewig zu verschweigen. Es heißt „Die Wahrheit wird euch freimachen!“ (Johannes 8,32)

In der Bibel steckt im griechischen Wort „Wahrheit“ das Ent-bergen des Verborgenen, also Licht in Verdecktes, Verdunkeltes bringen. Nur nicht per Knopfdruck: Licht an! Für ein solches Entbergen und Offenbaren braucht es viel Einfühlungsvermögen – und gegenseitiges Vertrauen.

Dann kann es dazu kommen: Man kann über den Elefanten im  Wohnzimmer sprechen - das Unsägliche sagbar. Vielleicht steht es dann nicht mehr im Weg. Und Menschen erleben, wie gut das ist: „Die Wahrheit wird euch frei machen!“

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24370
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