Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Von weitem sieht es aus wie ein Mensch, nicht gleich zu erkennen, ob Mann oder Frau. Steht mitten auf dem Feld, komisch. Im Näherkommen erkenne ich: es handelt sich um eine Vogelscheuche. Ein Holzkreuz, dem man eine Jacke angezogen hat und einen Hut aufgesetzt. Vogelscheuchen dienen dazu, wie es der Name schon sagt, Vögel von Gärten und Feldern zu verscheuchen. Der Bodenbesitzer will damit die angebauten Samen, Pflanzen und Früchte schützen vor dem Hunger der Krähen und Stare  und anderer Tiere. Ich komme ins Grübeln.

Wem gehört der Boden? Dem, der einen Zaun drum gemacht hat und Pflanzen anbaut? Oder allen? Dürfen sich die Vögel nehmen, was sie wollen? In meinem Garten steht zum Beispiel ein Kirschbaum. Ehe ich gesehen habe, wo die ersten Kirschen richtig dunkelrot geworden sind und Zeit fand, eine Leiter anzusetzen, sind die Vögel schon da. Meine Nachbarn freut das, weil deren Erdbeeren dann nicht gefressen werden: auf dem Kirsch-Baum fühlen sich die Vögel sicherer als bei den Erdbeeren am Boden. Wenn ich vom Kirschenanbau leben würde, müsste ich wohl den Kampf gegen die Mit-Ernter aufnehmen. So kann ich Gönnerin sein und mich freuen, dass die Vögel bei mir superleckere Kirschen bekommen. Ich kann das beurteilen, denn manchmal lassen sie mir ein paar übrig. Trotzdem bleibt die Frage: wem gehören die Kirschen? Wären die Bienen nicht vorher schon dagewesen, gäbe es überhaupt keine Kirschen. Hätte nicht ein Mensch vor Jahren diesen Baum gepflanzt, gäbe es auch keine. Jetzt wohne ich in dem Haus und laut Katasteramt gehört mir der Garten. Naja. Jedenfalls steht bei mir keine Vogelscheuche. Und ich will auch keine sein. Ich versuche, mir den Garten zu teilen mit den Ameisen und den Vögeln und den Nachbarskindern, wenn das Obst reif ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24356
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