SWR2 Wort zum Tag

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Es ist jetzt ziemlich genau 200 Jahre her: Am 12. Juni 1817 fuhr Karl von Drais zum ersten Mal mit seiner neuen Erfindung von Mannheim nach Schwetzingen. Er hatte damit eine geniale Idee umgesetzt: ein zweirädriges Laufrad, das durch den Schwung des Fahrers so schnell war wie damals die Postkutschen. Drais hat damit den Weg bereitet, dass auch einfache Leute sich leichter fortbewegen konnten,, was gut zu seinen demokratischen Idealen gepasst hat.

Fahrradfahren kann ein Gefühl der Freiheit vermitteln. Wenn ich zügig vorankomme, so dass mir der Wind um die Nase weht  dann trägt mich der Schwung mich scheinbar von selbst vorwärts . Diese Freude am Fahren hat auch Madeleine Delbrel gekannt. Und: Sie hat  beim Radfahren entdeckt, wie Glauben  geht. Es gibt von ihr einen Text, der den schönen Titel „Fahrradspiritualität“ trägt. Dort schreibt sie:

"Immer weiter! sagst du - Jesus Christus - zu uns in allen Kurven des Evangeliums. …Nur in der Bewegung, im schwungvollen Voran können wir die Richtung für dich behalten.“ Glauben ist für Madeleine Delbrel keine abstrakte Sache – man muss ihn leben.Im Text heißt es weiter: „Es ist wie mit einem Fahrrad, das sich nur gerade hält, wenn es fährt; es lehnt schief an der Wand, bis man es zwischen die Beine nimmt und davonbraust. … Wir können uns nur aufrecht halten, wenn wir uns hineinwerfen in das Abenteuer der Gnade."

Die überzeugte Christin Madeleine Delbrel hat nicht kluge Vorträge über den Glauben gehalten. Sie baute in der Mitte des letzten Jahrhunderts ein christliches Sozialzentrum  mitten in der Arbeiterstadt Ivry auf. Sie lebte mit den Menschen, teilte ihre Sorgen und knüpfte Kontakte zu ihren Nachbarn und Arbeitskollegen  Madeleine Delbrel war überzeugt, dass der Glaube einem Schwung geben kann, gerade auch dann, wenn das Leben mühsam ist. In jeder noch so alltäglichen Erfahrung nach Gott zu suchen – das bedeutete für sie, sich in das Abenteuer der Gnade hineinzuwerfen. Vor allem in der Beziehung zu ihren Mitmenschen. Sie sah sie  mit den Augen Gottes an – und entdeckte ihre Würde. Madeleine Delbrel hat die Menschen  nicht auf  ihren sozialen Status reduziert, sondern immer die Möglichkeiten und Potentiale erahnt, die sie noch entfalten konnten. Das gab ihrem Leben Schwung und eine gewisse Leichtigkeit – eben wie beim Radfahren…

Für mich ist Madeleine Delbrel wie eine späte Nachfahrin des Freiherrn von Drais. In ihrem Engagement für die einfachen Leute haben beide etwas Großartiges hinterlassen. Aber die Er-fahrung damit muss man schon selber machen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24333
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