SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich bin ein Teetrinker. Kaffee war nie was für mich. Und so führt morgens in der Küche mein erster Weg zum Wasserkocher. Noch im Halbschlaf fülle ich den mit Wasser. Während der Kocher heiß wird, decke ich den Tisch, dann ist es schon das sprudelnde Wasser für den Tee fertig. Und ab diesem Moment begleitet mich Tee durch den Tag. Egal, ob es draußen kalt oder warm ist, ich kann immer Tee trinken.

Mir gefällt es, dass der Tee mich warten lässt. Ich muss den Beutel oder den losen Tee ein paar Minuten ziehen lassen. Und dann ist das Wasser meist immer noch so heiß, dass der Tee auch ein bisschen abkühlen muss. Teemachen, das heißt, sich Zeit zu nehmen. Klar, ich kann nebenher was anders machen. Aber trotzdem ist Tee nichts für auf die Schnelle. Das gefällt mir. Ich hab immer einen Augenblick der Vorfreude. Weil der Tee dann irgendwann fertig ist.

In anderen Kulturen, gerade im asiatischen Raum, ist Teetrinken auch deshalb eine Kunstform. Weil es gar nicht so einfach ist, Tee zuzubereiten. Die richtige Wassertemperatur, leckere Teeblätter, die korrekte Zeit, die der Tee ziehen muss, das Warten, die Vorfreude, alles das kommt beim Tee zusammen.

Ich mache aus meinem Tee keine Zeremonie. Aber ich spüre jedes Mal, wenn ich mir eine Tasse aufgieße, dass Tee mehr ist als ein Getränk. Mehr ist als nur ein Durstlöscher.

Für mich ist Teemachen ein Sinnbild für meinen Glauben. Glauben heißt nämlich, sich Zeit zu nehmen, auf den Augenblick zu achten, aufmerksam zu sein für die kleinen Dinge, für jede Sekunde. Ich glaube, dass alles, was ist, wertvoll ist. Ich glaube, dass in jeder noch so kurzen Zeitspanne Sinn aufscheinen kann. Und der Tee braucht genau das: Die Aufmerksamkeit für den richtigen Augenblick.

In der christlichen Tradition gibt es dafür den Begriff Kairos. Ein griechisches Wort. Kairos, das meint: der richtige Zeitpunkt. Kairos, das ist der Zeitpunkt, in dem sich für mich eine besondere Chance ergibt. Kairos, das ist der Zeitpunkt, der für mein Leben wichtig sein kann. Dieser Zeitpunkt kann immer sein. Und ich bin deshalb aufgefordert, jeden Moment, jeden Augenblick wahrzunehmen. Weil genau dieser Augenblick lebenswichtig sein kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24313
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