SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

„Guck doch mal!“ wenn ich mit der kleinen Paula unterwegs bin, muss ich immer gucken. „Guck mal, was ich kann!“ ruft sie und dann springt sie von der Bordsteinkante oder dreht sich in der Luft um sich selber. Und ich sage „Toll!“. Irgendwann hab ich gemerkt: ich soll gar nicht den Luftsprung toll finden. Ich soll sie toll finden. Toll und einzigartig.

Manchmal habe ich den Eindruck: viele junge Männer und Frauen machen –um es im Bild auszudrücken- unglaublich hohe Luftsprünge. Damit endlich jemand guckt. Sie werden Germanys next top Model, werden bewundert für ihre langen Beine und finden sich trotzdem hässlich. Sie werden zum Mitarbeiter des Jahres gewählt und halten sich trotzdem für mittelmässig. Weil sie wie Paula nicht für die Luftsprünge bewundert werden wollen, sondern für sich. Weil sie so sind wie sie sind. Toll und einzigartig.

Aber wie kriegen sie das Gefühl, dass jemand sie sieht? Meistens braucht es dazu eine Krise. Dass der Körper oder die Seele streikt und nicht mehr kann. Oder wie ein bockiges Pferd den Sprung verweigert. Manche sind dann bereit für das Wunder.
Ein Wunder, das so alltäglich daherkommt, dass man es leicht übersieht. Mein Wunder passiere am Küchentisch. Beim Gespräch mit einer älteren Freundin.

Ist schon ein paar Jahre her, aber ich sehe noch genau die Tischplatte vor mir und meine Faust. Es ging mir nicht so gut und ich wollte auch gar nicht drüber reden. Aber die Freundin hat sich nicht abschütteln lassen. Warum soll ich dir das erzählen? Habe ich gesagt. Und sie: „Weil ich sehen will, wie es dir geht?“ - „Wieso?“

Und dann hat sie mich angeschaut mit einem Blick, den ich nie vergessen werde. So erstaunt, so mitfühlend. Das hat mein Leben verändert. Weil ich begriffen habe: Gott sieht mich. Und er schickt mir Engel, die mich wirklich sehen und trotzdem toll finden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24273
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