Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich möchte heute eine Lanze für das Unsichtbare brechen. Weil das Unsichtbare einen schweren Stand hat. Das, was man nicht sehen kann, das spielt für viele keine Rolle. Kein Wunder: Die moderne Welt, die Gegenwart, ist eine Gegenwart des Sehens. Bilder, Videos, Filme, Fotos – die Wirklichkeit ist illustriert. Real scheint das, was ich sehen kann. Wirklich ist das, wovon es einen Film gibt – oder zumindest Bilder.

Was soll da die Rede vom Unsichtbaren? Ich meine: Vieles von dem, was wirklich wichtig ist und zählt, was das Leben schön macht und bereichert, das ist nicht zu sehen. Als mein Vater gestorben ist, da lag er da, da war sein Körper zu sehen. Aber meine Erinnerungen an ihn waren unsichtbar: Der letzte Spaziergang durch den Wald, die Wasserschlacht vor Jahrzehnten in den Ferien, wie er mir meine erste Kamera erklärt hat, seine Zeitungslektüre am Frühstückstisch, das alles war da nicht zu sehen. Und trotzdem zählte es für mich. Mehr als ein Tod, den ich eindrücklich sehen konnte.

Ich erlebe, dass es mit vielem im Leben so geht: Liebe – nicht sichtbar, ein Lachen – auf keinem Foto so festgehalten, wie ich es in mir nachklingt, ein glücklicher Moment – unsichtbar, Musik – mehr als nur gedruckte Noten. Alles wichtig, alles unsichtbar.

Das Fest gestern, Christi Himmelfahrt, setzt dem Unsichtbaren ein Denkmal. Es erzählt davon, dass ein Mensch, Jesus nämlich, für immer geht. In der Tradition heißt das: In den Himmel auffahren. Gemeint ist aber: Dieser Jesus ist nun unsichtbar, er ist nicht mehr zu sehen. Trotzdem kann dieser Jesus erfahren werden. Wenn Menschen in seinem Geist handeln, wenn Sie auf andere zugehen, wenn Sie ein Lächeln schenken, wenn Sie sich einsetzen für Menschen am Rand. Dann wird Unsichtbares, dann wird Jesus, der Unsichtbare, sichtbar.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24264
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