SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Gehen wir einkaufen und greifen ins Regal, z.B. nach Yoghurt oder etwas Tiefgefrorenem, so taucht fast unvermeidlich die Frage auf: Welches Verfallsdatum? Eine ebenso alltägliche wir hintergründige Frage. Sie betrifft ja nicht nur dieses oder jenes Produkt beim Einkaufen. Es gilt für alles, was ich besitze. Es gilt für alles, was ich tue. Ja, es gilt für mich selbst. Meine alte, schon erblindete Tante sagte  gern: „Weißt du, es hört alles von alleine auf.“ Der Geschmack der Vergänglichkeit ist in allem. Vielleicht herrscht deshalb so viel Zeitnot und  Zeitdruck;  als wanderte stets das Wissen mit, dass  die Zeit befristet ist, gestundet wortwörtlich. Für alles und alle ist es irgendwann  zu spät. Alles, was Welt heißt und Mensch, hat ein Verfallsdatum.

Trotzdem ist der viel zitierte Satz falsch, wer zu spät kommt, den bestrafe das Leben. Die Hoffnung nämlich stirbt zuletzt, und  wo Leben ist, sind Alternativen. So wunderbar  ist die Welt geschaffen, trotz allem.  Christlich hat diese Hoffnung einen Namen und ein Gesicht. Wer an die Schöpfertreue Gottes glaubt, weiß: Alles hat nicht nur ein Verfallsdatum, sondern einen Verheißungsvermerk – und der sagt: alles wird wieder gut. Gott will  gerechtes Leben für alle und deshalb sucht er Mitliebende, die seine Schöpfung bewahren und gestalten helfen. Deshalb gilt es, das Zeitliche zu segnen, wortwörtlich – nicht nur am Lebensende, sondern mitten im Leben, hier und jetzt. Es gilt die befristete Zeit, als Geschenk zu begreifen und entsprechend zu nutzen. Es gilt sehr genau zu schauen, was hier und jetzt dran ist.

„Die Zeit geht nicht. Sie stehet still, / Wir ziehen durch sie hin; / Sie ist eine Karawanserei, / Wir sind die Pilger drin.“ So fängt eines der schönsten Zeit-Gedichte an, das von Gottfried Keller. „Es ist ein weißes Pergament, / Die Zeit und jeder schreibt / Mit seinem roten Blut darauf, / Bis ihn der Strom vertreibt. // An dich, du wunderbare Welt, / Du Schönheit ohne End, / Auch ich schreib meinen Liebesbrief /Auf dieses Pergament.“ Im Bewusstsein der Vergänglichkeit wird die Schönheit der Welt besungen und die Zeit als Geschenk betrachtet, als wunderbarer Zeit-Raum, in dem unsereiner unterwegs ist. Verfallsdatum hier, Verheißungsvermerk dort – und mitten darin die Kette kostbarer Augenblicke, die unsere Lebenszeit ausmachen. Deshalb lädt die Bibel dazu ein, die befristete Zeit  gut zu gestalten, weder hektisch noch verschlafen, weder panisch noch resignativ. Deshalb die Bitte im 90. Psalm der Bibel: „Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz.“ (Ps. 90,12)

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