SWR2 Wort zum Tag

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Wo ist mein Mitgefühl? Höre und verstehe ich noch richtig, was mir erzählt wird, oder sind meine Ohren, ist mein Herz schon ganz abgenutzt? Das habe ich mich selbstkritisch gefragt, als ich zusammen mit meiner iranischen Patentochter Nilou kürzlich in einer Aufführung der Matthäuspassion war. Sie weinte, weil es so traurig war.

Wo ist mein Mitgefühl bei dem, was ich alles zu sehen und zu hören bekomme in den verschiedenen Nachrichtenkanälen: Kriegsgeschrei und Kriegsgewalt, Feindschaft zwischen einstigen Nachbarn, Hunger und Hoffnungslosigkeit im täglichen Überleben. Wie nahe kommt mir das? Eine Bildschirmsekunde lang, und dann folgt das Nächste? Das Leid der Welt wird zu einer Geräuschkulisse in den Nachrichten, die nebenherlaufen.

Aber ist Mitgefühl denn überhaupt das Richtige? Hilft das irgendjemandem? Etwas dagegen tun, Dazwischen-Gehen, die Waffen wegnehmen, „Aufhören“ schreien, Essen verteilen, das wäre doch besser. Doch dafür braucht man eine innere Schutzschranke, damit man nicht wie gelähmt ist. Das ist das Gute an dem Abstand, den uns die Medien ermöglichen, die davon berichten. Denn Helfer sind hilflos, wenn sie in Mitgefühl zerfließen und ihre Befindlichkeit in den Mittelpunkt rücken, geleitet von der Frage, wie sie mit dem allem fertig werden sollen.

Mir leuchtet die Definition ein, dass echtes Mitgefühl eine Haltung ist, die dazu antreibt, tätig zu werden. Anders als das Abgestumpft-Sein, aber auch anders als die Haltung, die die eigene Betroffenheit in den Mittelpunkt rückt, führt echtes Mitgefühl zum Handeln: gegen die unguten Zustände, gegen die Umstände, die dazu führen. Es führt zum Handeln für andere, für die, die in Not sind, aus der schlichten Erkenntnis heraus: Was den Anderen widerfährt, könnte auch mir und meinen Lieben geschehen.

Es könnte - doch ich lebe in Sicherheit, in Wohlstand, in Gesundheit. Ich lebe, Gott sei Dank, in einer Situation, in der ich viele Möglichkeiten habe, nicht nur die eine, die ich in meinem Überlebenswillen noch erkennen kann. Also kann ich mitfühlen, kann weinen und mich ergreifen lassen, aber dann eben auch aktiv werden und etwas sagen oder tun, was zur Veränderung beiträgt.

Aber was? Manchmal genügt es, jemandem zuzulächeln. Manchmal braucht es ein mutiges Eintreten für jemand, der das nicht selbst für sich tun kann. Manchmal hilft es, vom eigenen Überfluss etwas abzugeben. Und manchmal ist es wichtig, ganz Ohr und mit dem Herzen dabei zu sein, wenn jemand von sich und seinen Nöten erzählt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24204
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