SWR2 Wort zum Tag

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Der Mai ist in der katholischen Kirche der Marienmonat. Ich gebe zu: Ich tue mich etwas schwer damit. Gerade deshalb versuche ich, mich mit dem Bild Marias auseinanderzusetzen, wie es die Bibel zeichnet. Es bringt mich dazu, nach meinem eigenen Glauben zu fragen.

Ein wertvoller biblischer Text ist für mich das Magnifikat, ein Lied, in dem Maria die Größe Gottes besingt. „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter“, so beginnt es. Und so wird dieser Jubel begründet: „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.“

Gott sieht die Menschen, die erniedrigt, gedemütigt, verelendet sind, sagt dieser Hymnus. Darin besteht Gottes unfassbare Größe: dass er diese Menschen ansieht und ihnen zu Ansehen verhilft, auch dann, wenn sie für die Mitmenschen und vor den eigenen Augen völlig unansehnlich geworden sind. Für Martin Luther, der eine sehr schöne Auslegung des Magnifikat geschrieben hat, „bleibt sie allein Gottes Sache, diese Art zu sehen, die in die Tiefe, in Not und Jammer sieht; er ist nahe allen denen, die in der Tiefe sind“. Und wenige Sätze davor sagt er: „Je tiefer jemand unter ihm ist, desto besser sieht er ihn.“[1]

Für meinen Gottesglauben ist das zentral: Gott ist den Menschen nicht nur im Glück, sondern auch im tiefsten Dunkel nahe. Im tödlichen Schicksal Jesu hat Gott sich selbst der Hoffnungslosigkeit und Gottverlassenheit ausgesetzt, damit niemand in seiner tiefsten Verzweiflung allein ist. Und Ostern heißt dann: Aus dem Nichts, aus dem Tod schafft Gott neues Leben. Das glaube ich. Noch einmal Martin Luther. Er sagt: „Alle seine Werke sind bis ans Ende der Welt so beschaffen, dass er aus dem, das nichts, gering, verachtet, elend, tot ist, etwas macht, etwas Kostbares, Ehrenvolles, Seliges und Lebendiges.“[2]

Noch einmal: Dass Gott gerade dann für das Leben steht, wenn es gar nicht danach aussieht, das ist der Kern meines Glaubens. Ich weiß, wie schwer es sein kann, daran zu glauben. Ich sitze am Bett eines todkranken und depressiven Menschen, der sich völlig von Gott verlassen fühlt, an den er ein Leben lang geglaubt hat. Und ich spüre bei mir selber, wie zerbrechlich meine Gewissheiten werden können und wie hilflos meine Worte sind. Ich kann nur da sein und seine unbeantworteten Fragen und Zweifel aushalten. Und darauf vertrauen, dass Gott da ist, auch wenn es so aussieht, als sei er weit entfernt. Der Gott, von dem Maria sagt: Er hat auf mich in meiner Niedrigkeit geschaut.



[1]Martin Luther, Das Magnifikat, WA Bd. 7, 547.

[2] Ebd.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24143
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