SWR2 Wort zum Tag

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Ein wunderbares Loblied auf die Größe Gottes legt das Evangelium Maria in den Mund. Es ist das Magnifikat. „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.“ So beginnt diese Dichtung.

 Ich habe jetzt im Mai, der in katholischen Kirche als Marienmonat begangen wird, wieder einmal zu diesem Magnifikat gegriffen. Weil mich das Bild Marias fasziniert, das in diesem Text aufscheint. Und weil ich das Gottesbild geradezu aufregend finde, das hier gezeichnet wird.

 Dieser Text ist voller Spannungen. Es nimmt den Blick der Mutter ein, die mit ihrem Sohn alles durchsteht. Bis zum bitteren Ende, wenn er wie ein Verbrecher am Kreuz hängt. Maria hat mit ihm gelitten, ist mit ihm erniedrigt und gedemütigt worden. Ihr Blick ist der Blick der Erniedrigten, der Gedemütigten zu allen Zeiten. Und wirklich dramatisch ist daran, dass hier die Verhältnisse von Oben und Unten, von Macht und Ohnmacht auf den Kopf gestellt werden. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“, so heißt es im Magnifikat. Das sind „die machtvollen Taten“, die Gott „mit seinem Arm vollbringt“.  

Nicht alle Rätsel der Geschichte lassen sich mit dem Glauben an Gott lösen. Im Gegenteil: Ihre dunklen Schatten machen Gott noch rätselhafter. Aber eines macht das Magnifikat deutlich: Macht lässt sich mit Gott nicht rechtfertigen, und Ohnmacht lässt sich mit ihm nicht schönreden. Die Maßstäbe von Groß und Klein, von Mächtig und Gering werden hier umgedreht ins Gegenteil. Auch wenn diese Maßstäbe oft als gottgewollte Ordnung dieser Welt missverstanden werden

Martin Luther hat eine tiefsinnige Betrachtung über das Magnifikat geschrieben. Er sieht darin die „tiefe Erkenntnis und Weisheit: dass Gott ein solcher Herr sei, der nichts anderes zu schaffen habe, als nur zu erhöhen, was niedrig ist, zu erniedrigen, was da hoch ist, und kurz, zu zerbrechen, was da gemacht ist, und zu machen, was zerbrochen ist“.[1] Das ist eine verkehrte Welt – Gottes verkehrte Welt.



[1]Martin Luther, Das Magnifikat, WA Bd. 7, 546.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24142
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