SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

1. Mai – Tag der Arbeit. Dieses Datum markiert eine über 160-jährige verdienstvolle Geschichte, in der Arbeiter und Gewerkschaften für erträgliche Arbeitszeiten, für faire Löhne und für das Recht zu streiken gekämpft haben. Ich blicke mit großem Respekt auf diese Geschichte. Denn hier bei uns können die meisten Menschen ein sozial abgesichertes Leben führen. Es ist aber trotzdem weiterhin nötig, um soziale Gerechtigkeit zu ringen. Denn nicht allen geht es gut. Man mag sich über die Zahlen streiten – Tatsache ist doch, dass viele Menschen in Verhältnissen leben, die man als „prekär“ oder gar als arm bezeichnet. Das betrifft zum Beispiel allein erziehende Frauen, junge Menschen ohne Schulabschluss und Ausbildung oder auch ältere Menschen mit geringen Rentenansprüchen. Und oft hat die Armut auch einen „Migrationshintergrund“ – Menschen, die schon lange bei uns leben und doch nicht angekommen sind. Geflüchtete, die mit großen Hoffnungen hierhergekommen sind und jetzt keine Zukunftsperspektive sehen.

Damit weite ich den Kreis meiner Überlegungen aus. Geflüchtete Menschen sind Zeugen einer anderen Welt. Einer Welt, die ich manchmal von mir fern halten möchte, weil ich sie kaum ertrage. Und doch ist diese eine Welt auch meine Welt, und was in ihr vorgeht, gehört auch zu meinem Leben.

Gerade deshalb lädt der 1. Mai dazu ein, den Blick zu weiten. Über den eigenen Tellerrand zu schauen und über die sozialen Fragen in unserem Land hinaus zu denken. „Wir brauchen eine neue universale Solidarität“, sagt Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben „Laudato si‘“.[1] Ich bin für das, was ich tue, verantwortlich. Nicht nur vor mir selbst, sondern alles, was ich tue, wirkt sich aus auf die Welt, in der ich lebe, und auf die Menschen, die mit mir zusammen darin leben. Und ich bin auch verantwortlich gegenüber der Schöpfung, die allen geschenkt ist. Nicht nur eine Minderheit – nein alle sollen ein menschenwürdiges Leben führen können.

Gemessen an dem, wie es Menschen in vielen Ländern geht – oft nur wenige Flugstunden von uns entfernt –, leben wir hier auf einer Insel des sozialen Wohlergehens. Ich habe in Ländern des so genannten globalen Südens Elend gesehen und erlebt, in dem ich nicht eine Stunde leben könnte.

Eigentlich möchte doch jeder Mensch gut dort leben können, wo er zuhause ist. Überall auf der Welt. Dass dies so vielen verwehrt ist, daran kann ich nichts ändern. Und je mehr ich sehe, desto schmerzhafter ist das für mich. Ich habe keinen Einfluss darauf, dass die großen Machtblöcke mit ihren Stellvertreterkriegen ungezählte Menschen ins Unglück stürzen. Ich kann nichts daran ändern, dass der Wohlstand hierzulande auf unfairen Wirtschaftsbeziehungen beruht, die andere Länder abhängig und arm machen. Ich werde auch nichts dagegen ausrichten, dass Waffenhändler ihre schmutzigen Geschäfte machen, selbst wenn ich noch so empört darüber bin.


[1] Zit. bei Papst Franziskus, Laudato si‘. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Die Umwelt-Enzyklika mit Einführung und Themenschlüssel, Stuttgart 2015, 31.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24141
weiterlesen...