SWR2 Wort zum Tag

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Es gibt sie - die Engel ohne Flügel mit einem sehr menschlichen Aussehen, die plötzlich unerwartet im richtigen Moment auftauchen. Einen solchen Schutzengel aus Fleisch und Blut habe ich vor einigen Wochen in Berlin kennenlernen dürfen. Nach einem schönen Abendessen mit einem befreundeten Ehepaar schlenderte ich in aller Ruhe gutgelaunt durch die Stadt in Richtung U-Bahn, um von dort zu meinem Hotel zu fahren. Dann werde ich von zwei jungen Männern angesprochen, die mich nach einem Weg fragen. Der eine hat einen Stadtplan in der Hand, beschreibt sehr umständlich den Ort, den die beiden angeblich aufsuchen möchten, aber ich kann Ihnen keine Auskunft geben. Ich mache ihnen klar, dass ich fremd in der Stadt bin. Trotzdem fragen sie munter weiter bis ich nochmals mein Bedauern signalisiere und mich abwende. Sekunden später bremst ein Taxi mit quietschenden Reifen neben mir, der Fahrer springt aus den Auto und brüllt die beiden Männer an: „Gebt dem Mann sofort das Smartphone zurück!“ Im ersten Moment kapier ich gar nicht was da abgeht, bis mir einer der beiden Halunken mein eigenes Smartphone zurückgibt mit der Bemerkung „..war ja nur Spaß.“ Die beiden hauen ab, ich stehe da und krieg den Mund nicht mehr zu. Hätte der aufmerksame Taxifahrer nicht beherzt eingegriffen, ich hätte nichts von dem Diebstahl bemerkt und hätte das Smartphone wohl nie mehr wiedergesehen. „Hellwach sein für das was neben mir geschieht“, so heißt es in einem Gebet, das ich mal formuliert habe. Einen solchen hellwachen Menschen durfte ich so erleben. Er hätte ja nicht eingreifen müssen, er hätte auch bequem wegsehen können. Oder er hätte sich sagen können: wer sich so leicht beklauen lässt ist selber schuld. Er hat sich anders entschieden und hat damit nicht nur ein Musterbeispiel für Zivilcourage abgegeben, sondern ganz undramatisch, unbewusst und höchst praktisch etwas unter Beweis gestellt, was wir Christen fromm und etwas abgegriffen „Nächstenliebe“ nennen. Denn was ist das denn anderes: Hellwachsein, sich Einsetzen für einen Fremden, dem gerade Unrecht geschehen? Ich war und bin jedenfalls meinem Taxifahrerengel unendlich dankbar und habe so trotz des Schreckens eine wunderbar positive Erfahrung machen dürfen. Die U-Bahn habe ich übrigens dann nicht mehr genommen sondern selbstverständlich mein Rettertaxi. Den höheren Fahrpreis habe ich sehr gerne bezahlt. Plus ein ordentliches Trinkgeld.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24128
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