SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Als die Sonne plötzlich aus den Wolken hervorkam, als alles hell wurde, sagte die Frau zu mir, das würde sie erinnern, an ein altes Kirchenlied: „Oh Heiland reiß die Himmel auf...“ Das sei doch ein Adventslied, wenn sie sich nicht ganz täuschte. Sie wunderte sich, dass ihr das jetzt einfiel. Nach so vielen Jahren. Sie dachte viel an ihre Kinderzeit. Jetzt hier, in diesen Tagen, in diesem Haus, in diesem Hospiz. Hier lag ihre Mutter. Es konnte nicht mehr lange dauern. Sie wusste es. Beide wussten sie es. Als die Sonne sich zeigte war ich mit der Tochter kurz  aus dem Zimmer gegangen, für einen kleinen Spaziergang, um zu reden, um durchzuatmen. Ich erinnerte mich, wie mich ihre Mutter begrüßt hatte, noch vor zwei Wochen, bei meinem ersten Besuch im Hospiz. „Die letzte Station,“ sagte sie und lächelte, wie jemand der mehr weiß. „Alles wird intensiver“, sagte sie noch, „nie hab ich den Mond so gesehen, nie nachts so auf die Sterne gewartet.“ Sie wollte nicht, dass man ihr etwas vormacht. Sie wollte wissen, wo sie dran war. Ihre Tochter hielt aus neben ihr, spielte für sie auf ihrer Gitarre, war einfach da. Vieles haben beide sich wortlos gesagt. Nun war sie schon nicht mehr ansprechbar. Als wir in das Zimmer zurückkamen, war es still. Ganz still. Kein schwerer Atem mehr, nur noch Frieden. Sie war gegangen. Vielleicht genau in diesem Moment, als der Tochter das Lied eingefallen war, „Oh Heiland reiß die Himmel auf… “Wir haben geschwiegen, gesungen, gebetet. Es war kostbar. Später bin ich allein weggegangen und dachte an die, die nicht so gehen dürfen, die plötzlich weggerissen werden, oder ungeborgen, weggeschoben, mit sich allein sterben. Immer wieder erzählen die Zeitungen von Menschen, die man erst Tage später findet, manchmal erst viel länger. Wie traurig ist der Gedanke nicht vermisst zu werden. Und manche schaffen es nicht auszuhalten an den Betten, überlassen es den Profis, verdrängen den Gedanken und fühlen sich überfordert. Dabei ist eine Hand halten, einfach nur da sein doch wirklich nicht so schwer. Vielleicht für manche doch. Ich wünschte, ich dürfte einmal so Abschied nehmen wie meine Großmutter, wie mein Vater, umgeben von Menschen, die zu mir gehören, Menschen, die mich aushalten, auch in meiner Schwäche. Ich hoffe, dass es Hände geben wird, die mich halten. Ob zu Hause oder im Krankenhaus oder im Sterbehospiz. Ich hoffe, dass Würde bleibt. Und ich hoffe auch, dann zu erfahren, dass der Himmel auch für mich offen steht.                                                                                                  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24125
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