SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich habe ein Problem mit dem Wort „unschuldig“.  Nach Anschlägen wird in den Nachrichten immer wieder von „unschuldigen“ Opfern berichtet. Das klingt so, als ob es – neben den unschuldigen -  tatsächlich andere Menschen gibt, die rechtmäßig, nämlich selbstverschuldet zu Opfern werden. Als Christin kann ich da nur vehement Einspruch anmelden. Es gibt keine Opfer, die ihr Leid selbst verdient haben, einfach weil niemand das Recht hat, andere Menschen zu töten.

Ich mag aber auch das Wort „unschuldig“ nicht. Es vermittelt den Eindruck, als ob sich Menschen irgendwann in ihrem Leben im Zustand der Unschuld befinden. Genau das glaube ich nicht. Kein Menschenleben ist perfekt ist und es gelingt niemandem, ein Leben zu leben, ohne auch einmal andere oder sich selbst zu verletzen. Das gilt für alle Menschen von klein auf. Wer schon einmal auf dem Spielplatz gesehen hat, wie eines der süßen Kleinen einem anderen die Schaufel über den Schädel ziehen kann, der weiß, dass schon Kinder ziemlich egoistisch und sogar gemein sein können. Und so ist es, von Anfang an, eine menschliche Herausforderung, mit den Unzulänglichkeiten unserer menschlichen Existenz klarzukommen. Wenn es gut geht, bringen Eltern ihren Kindern bei, wie man die Konflikte in der Sandkiste friedlich löst und dass man sich auch einmal entschuldigen muss, und wenn es noch besser läuft lernen die Kinder dann, dass sie sich ihrem Leben stellen und Verantwortung übernehmen für das, was sie angestellt haben. „Ich war´s nicht, sondern die anderen…“ – mit dieser Haltung kommt man nicht wirklich weiter. Auch wenn es nicht immer leicht ist: Langfristig zahlt es sich aus, zu den eigenen Fehlern zu stehen. Dann kommt man auch nicht auf die Idee, andere Menschen zu quälen oder zu töten. Menschen sind zwar nicht unschuldig, aber das gibt keinem anderen das Recht sie zu Opfern zu machen.

Das Christentum hat, wie andere Religionen auch, Riten entwickelt, die Menschen dabei unterstützen wollen. Beim Abendmahl sind alle Menschen eingeladen, die vergebende Liebe Gottes zu sehen und zu schmecken. Nicht zufällig ist das Abendmahl während eines Festes entstanden. Denn dahin zielt die ganze Angelegenheit: Wir sind nicht dazu geschaffen, auf unseren Fehlern herumzukauen, uns zu quälen mit dem, was wir falsch gemacht haben, und auch nicht dazu, andere auf ihre Fehler festzunageln oder zu Opfern zu machen. Vielmehr sind wir eingeladen, befreit miteinander und mit Gott zu feiern. Unser wunderschönes, nicht allzu perfektes, und doch und zugleich sehr liebenswertes Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24119
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