SWR3 Gedanken

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Nie werde ich diese Frau verstehen! Nie! Wie sie so da steht vor dem Spiegel… Und mir erzählt, sie sei so hässlich. Hier ein Pfund zu viel und dort zu viele Falten. Aber ich weiß es besser! Schließlich sind wir schon einige Jahre zusammen und ich kenne jede Lach-, Zornes- und Trauer-Falte in ihrem Gesicht. Tatsache ist: Diese Frau ist das Schönste, was mir je passiert ist. Wenn sie den Raum betritt, geht für mich die Sonne auf. Nur ihrer Logik kann ich manchmal einfach nicht folgen.

Muss ich auch nicht. Der Schriftsteller Max Frisch hat mal gesagt: Je mehr du einen Menschen kennst, desto mehr wird er ein Geheimnis für dich. Der Mensch ist eben keine Maschine. Bei der müsste ich nur lange genug die Baupläne studieren und dann wüsste ich irgendwann, wie sie funktioniert.

Nicht so bei meiner Frau. Sie ist immer für Überraschungen gut. Wenn ich denke, ich würde sie kennen, belehrt sie mich spätestens am nächsten Tag eines Besseren. Deshalb, so Max Frisch, ist es gut, die Menschen in der „Schwebe des Lebendigen“ zu halten. Es also gar nicht erst zu versuchen, ihr Geheimnis zu lüften.

Die Idee von Max Frisch ist allerdings schon viel älter. Der Evangelist Markus hat das auch schon gedacht. Er hat um das Jahr 70 die erste Biographie über Jesus geschrieben. Markus wollte auch das Geheimnis lüften, was sich um Jesus gerankt hat. Wer ist er denn jetzt? Ein Mensch? Gott? Halbgott? Ein Held? Aber Markus ist auf keinen grünen Zweig damit gekommen. Immer war Jesus anders – eben ein Geheimnis. Gottes Sohn und sein Ebenbild.

Und so ist das auch mit meiner Frau. Sie ist und bleibt für mich ein Geheimnis. Eines, das immer größer wird, je mehr ich sie kennenlerne.

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