SWR2 Wort zum Tag

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Es ist das Jahr 1858. Der englische Beamte Sir William Herschel sitzt wie jede Woche in der englischen Zivilverwaltung in Kalkutta und zahlt Löhne an die indischen Angestellten aus. Und wie jede Woche ärgert er sich, dass er an mehr Personen auszahlen muss, als eigentlich beschäftigt sind. Es liegt wohl daran, dass sich manche einfach zwei Mal anstellen. William Herschel kann weder die Unterschriften entziffern noch die Gesichter besonders gut unterscheiden.

Irgendwann hat er dann die entscheidende Idee. Er taucht die Finger der Arbeiter in Farbe und drückt einen Abdruck neben die Unterschrift. Eine Idee, die später ganz wichtig wird für den polizeilichen Erkennungsdienst: der Fingerabdruck - bis in alle Einzelheiten ist er ganz individuell, er wird nicht vererbt und bleibt ein Leben lang unveränderbar.

Schon lange bevor William Herschel die Polizeiarbeit revolutioniert, gebraucht der Prophet Jesaja ein ganz ähnliches Bild. Jesaja berichtet uns in der Bibel über ein erstaunliches Versprechen von Gott. Die Menschen beklagen sich bei Gott. Sie haben das Gefühl, er habe sie vergessen und verlassen. Aber Gott antwortet bei Jesaja: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde: ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.“

Das Gefühl von Gott verlassen zu sein – das gibt es nicht nur in biblischen Zeiten, sondern heute auch noch ganz oft. Vielleicht tut es gut, diesen Zuspruch Gottes wieder einmal zu hören: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände.

Ich finde, mit diesem Versprechen geht Gott ein ganz schön hohes Risiko. Wenn er mich in seine Hände einzeichnet, dann bin ich Teil seines Fingerabdrucks, seiner Identität. Und zwar nicht nur zwischenzeitlich, sondern auf ewig. Wenn ich nun Mist baue, dann ist auch dieser Mist Teil des göttlichen Fingerabdrucks. Einerseits ein riesiger Vertrauensvorschuss  für uns Menschen. Andererseits solidarisiert sich Gott damit auch mit uns, denn meine Fehler sind auch ein Teil von ihm. Einerseits eine Verpflichtung für mich, das Leben so gut wie möglich zu gestalten. Andererseits: Selbst wenn mal was schief geht, Gott betrachtet mich als unauslöschlichen Teil von sich selbst. Damit kann er mich nie fallen lassen oder vergessen. Ich bin eingeschrieben in seine Hand. Als ein kleiner Bogen, als eine Schleife oder ein Wirbel im göttlichen Fingerabdruck.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24096
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