Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Da steht sie nach der Religionsstunde bei mir am Lehrerpult: Ines, 24 Jahre alt, Schülerin einer Berufsschulklasse. „Gott hat mir den Glauben geschenkt!“ Sagt sie und fährt fort: „Wissen Sie, jahrelang war ich in der Sünde. Aber jetzt bin ich auf der richtigen Seite. Seit knapp 2 Jahren bin ich bekehrt, und Sie wissen das ja sicher, die böse Seite der Welt geht unter und die Ungläubigen müssen vernichtet werden. Aber ich liebe Gott und stehe zu ihm“

Und dann fragt sie mich: „Sind Sie auch im Glauben an Gott?“

Ich zögere, atme tief durch und antworte:
„Der Glaube ist ganz sicher ein Geschenk Gottes. Das machen wir nicht aus uns selbst heraus.
Aber wer glaubt, steht damit nicht automatisch auf der Seite der Überlegenen. Die Unterscheidung in „die Guten“ die an Gott glauben und „die Bösen“ mit denen die Welt untergeht, kann ich nicht mitmachen. Die ist mir persönlich zu selbstgerecht.“

Nun war das Streitfeld für Ines aufgemacht: „Aha, wieder einmal ein Pfarrer, der nicht so richtig an Gott glaubt, ich dachte es mir schon“.
So stand sie vor mir und ich fragte mich: was will Ines in diesem Jahr von mir im Unterricht lernen? Bin ich doch in ihren Augen eher einer von den Bösen, die nicht im richtigen Glauben sind.

Jesus ermahnt seine Jünger, nicht vor den anderen der Größere im Glauben sein zu wollen.
Die Bibel erzählt, dass seine Jünger einmal heftig um ihren Rang stritten: Wer wird wohl später der Größte im Himmelreich sein?

Als Jesus merkte, wie sie sich voreinander brüsteten und sich immer mehr übereinander ärgerten, holte er ein Kind in ihre Mitte. Nahm es in den Arm und sagte: Wer unter euch der Erste sein will, der möge sich mal dieses Kind anschauen. Es freut sich, dass es geliebt wird. Es muss nicht vor den anderen großartig sein. So sollt auch ihr euch darüber freuen, dass Gott euch liebt. Ihr müsst nicht voreinander prahlen. Gott will euch Menschen mit dem Glauben beschenken, euer Glaube soll wachsen, nicht eure Selbstgerechtigkeit und euer Prahlen vor den anderen.

Der Glaube ist ohne Zweifel ein großes Geschenk. Ich möchte weiter in diesem geschenkten Glauben wachsen. Aber nicht gegen die Welt, nicht gegen die scheinbar Ungläubigen, nicht für den Weltuntergang, sondern für eine Welt, die für Ines und für mich lebenswert und liebenswert ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2406
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