SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich in der Stadt einen Bettler sehe, geht immer dasselbe Gedankenkarussell bei mir los. Soll ich ihm was geben? Aber was macht er dann mit dem Geld, das ich ihm gebe? Vor allem, wenn es ein Obdachloser ist, bin ich schnell bei der Vermutung, dass er das Geld in Alkohol umsetzt. Auf den ersten Blick ein Grund, nichts zu geben. Ich will ja die Sucht nicht unterstützen, die manche Menschen erst in diese Situation bringen kann, dass sie obdachlos werden.

So denke ich manchmal. Und hinterher ärgere ich mich über mich selbst. Wenn ich jemandem etwas schenke, dann ist es doch seine Freiheit, was er damit macht. Ich habe nicht das Recht zu entscheiden, ob ein anderer Alkohol trinken darf oder nicht. Ich weiß ja auch nicht, was ich in so einer Situation tun würde. Er hat vielleicht keine Ziele mehr im Leben und kommt mit Problemen und Sorgen nicht zurecht. Oder wenn er die Kälte im Freien aushalten muss und gesundheitliche Probleme hat, die auf der Straße nicht behandelt werden können. Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand so ein Leben freiwillig wählt, wahrscheinlich hat er schon einen Haufen Unglück hinter sich, bis er so weit nach unten gekommen ist.

Wenn ich mir dann noch vorstelle, wie ich mich schämen würde, wenn ich andere anbetteln müsste, dann wird mir klar: Ich will vor allem den anderen als Menschen respektieren, seine Würde nicht auch noch verletzen. Und dazu gehört, dass ich mein Almosen nicht an Bedingungen knüpfe.

Wenn ich den Eindruck habe, dass da jemand auf der Straße sitzt, der für eine organisierte Bettlergruppe arbeitet, versuche ich schon zu umgehen, dass die Geldeintreiber im Hintergrund den Profit bekommen. Dann gehe ich einfach in eine Bäckerei und geben mein Almosen in Naturalien.

Vor kurzem hat Papst Franziskus etwas gesagt, was mich dabei noch weiter zum Nachdenken bringt. Denn er nimmt die Würde aller Menschen ernst. Für ihn steht der, der Almosen gibt auf einer Ebene mit dem, der etwas bekommt. der Geber ist nicht sein Richter. Wenn ein obdachloser Mensch mit meinem Almosen Wein kauft, ist das vielleicht das einzige persönliche Glück, das dieser Mensch hat, so der Papst. Vielleicht habe ich auch so ein persönliches Glück, das ich vor andern verheimliche.

Wenn ich jetzt also einem Bettler begegne, erinnere ich mich daran, dass ich ihn nicht beurteilen will, weil ich ja auch meine heimlichen Glücksmomente suche. Und auch wenn es manchmal schwerfällt, versuche ich, ihm in die Augen zu schauen. Von einem Menschen, der das Glück sucht zum anderen. Das kostet vielleicht mehr Überwindung als eine Münze zu geben, aber es ist sicherlich auch viel wert.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24027
weiterlesen...