SWR2 Wort zum Tag

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„Disput\Berlin – so geht streiten“. Zufällig bin ich im Internet auf diese Veranstaltung gestoßen. Prominente Persönlichkeiten liefern sich einen verbalen Schlagabtausch zu einer provokanten These. Dahinter steckt die Idee einer neuen Streitkultur. Keine langweilige Talkshow, sondern “Pro und Contra at its best”. So heißt es da.

Ich denke darüber nach: Da ist schon was dran. Es gibt so viele Talkshows in denen wichtige Themen und Fragen allzu oft zerredet oder mit einstudierten Phrasen letztlich nicht wirklich beantwortet werden. Dabei bräuchte unsere Demokratie die lebendige Diskussionskultur.

Vor 500 Jahren, zu Martin Luthers Zeiten gehörte die Disputation zum akademischen Alltag und war fester Bestandteil der Meinungsbildung. Heute vor 499 Jahren, am 26. April 1518, war z. B. Martin Luther in Heidelberg, um dort im Rahmen einer Disputation seine 95 Thesen zu erläutern. Was ihm wohl vor allem bei den jungen Studenten überzeugend gelang. Viele seiner Zuhörer wurden zu Trägern der Reformation im Südwesten, wie Johannes Brenz in Württemberg, Erhard Schnepf im Kraichgau oder Martin Bucer in Straßburg.

Es muss eine eindrückliche Disputation gewesen sein. Keine langweilige Talkshow. Sondern Pro und Contra at its best. So schrieb Martin Bucer einem Freund einen begeisterten Brief, in dem er ausführlich schildert, wie sehr ihn das Erlebnis beeindruckt hat: „Es ist zum Verwundern, mit welcher Anmut er antwortet, mit welchem unvergleichlichem Langmut er den Gegner anhört und mit welchem [..] Scharfsinn er [...] beinahe alle zur Bewunderung hinriss.“

Wenn ich an aktuelle Diskussionen, Redebeiträge und Streitgespräche im Netz und in den Medien denke, bin ich nicht beeindruckt, sondern oft regelrecht geschockt. Da werden Menschen aufs übelste beschimpft und bedroht, Anstand und Respekt mit Füßen getreten, dass es einem die Sprache verschlägt.

Ich finde, wir brauchen dringend eine neue Streitkultur. Zum Beispiel bei den Themen Asyl und Flüchtlinge, Religionsfreiheit und soziale Ungerechtigkeit. Disputare heißt wörtlich übersetzt „auseinander setzen“. In einem guten Streitgespräch setzt man sich mit Argumenten auseinander, erläutert seine Thesen, entwickelt, erklärt, verdeutlicht Begründungen und Zusammenhänge, so wie es Martin Luther 1518 in Heidelberg getan hat. Wohl durchaus leidenschaftlich engagiert, aber dennoch an der Sache orientiert, und eben darum überzeugend.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24024
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