SWR2 Wort zum Tag

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Der englische Autor und Journalist Howard Spring hat gesagt: „Alle Menschen haben eine Wirbelsäule. Aber nicht jeder hat ein Rückgrat.“ Er hat Recht. Auch wenn wir Menschen aufrecht gehen, sind wir noch lange nicht alle aufrichtig und stehen immer zu dem, was wir denken. Zu seiner Meinung zu stehen ist ja auch nicht immer einfach. Ich merke das, wenn meine Meinung in einer größeren Gruppe eher die Ausnahme ist. Dann ist es einfacher still zu bleiben und nichts zu sagen. Oder sich einfach der Mehrheit zu beugen. Dabei geht es mir jetzt gar nicht um die Sachfragen im Einzelnen. Sondern darum, wie ich mich verhalte, dass ich abends noch in den Spiegel schauen kann. Und das ist eine Frage des Gewissens. Wie ich mich verhalte, habe ich als Christ nicht nur vor Gott zu verantworten, sondern auch vor mir selbst. Keiner sagt, dass das einfach sein muss. Aber ich finde, für einen Christen gibt es keine Alternative. Das haben aufrechte Christen gezeigt, als sie sogar gegen den Staat gehandelt haben, als dessen Macht von den Nazis missbraucht worden ist: Dietrich Bonhoeffer, die Geschwister Scholl oder der katholische Politiker Eugen Bolz. Sie haben ihre Meinung gesagt und mit dem Leben dafür bezahlt.

Zum Glück bin ich bisher nicht in solche Situationen gekommen, wo es um Leben und Tod geht. Ich habe es vergleichsweise einfach: Ich kann in einer Konferenz eine Einzelmeinung vertreten. Ich habe sogar Glück mit meinen Vorgesetzen. Wenn ich sie kritisiere, passiert mir nichts Schlimmes. Trotzdem ist es für mich immer das Wichtigste, dass ich auf mein Gewissen höre, Rückgrat zeige und mich nicht einfach nur nach der Mehrheit richte.

Wenn ich mich entscheiden muss, spüre ich meistens so etwas wie einen inneren Impuls. Intuitiv meine ich zu wissen, was richtig und was falsch ist. Aber nur nach dem Gefühl zu gehen, wäre mir noch nicht genug. Wenn ich diesen Impuls spüre, prüfe ich nochmals nach, ob das vielleicht nur eine momentane Stimmung ist, oder ob ich es auch vor dem Verstand vertreten kann. Zum Beispiel mit der Goldenen Regel aus der Bergpredigt: Behandle ich andere so, wie ich von den anderen behandelt werden möchte? Danach richte ich mein Urteil. Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch tief in seinem Innern so eine Art Kompass hat, der ihm eine Richtung zeigt, an die er sich halten kann.

Letztlich geht es für mich aber nicht nur um eine Entscheidungshilfe, wenn ich mich nach dem Gewissen richte. Ich glaube nämlich, dass mit diesem inneren Kompass Gott selbst mir die Richtung zeigt.

Ein Vorbild dafür ist für mich Martin Luther. Heute erinnern die Kirchen an seinen Auftritt vor dem Reichstag in Worms. 1521. Für ihn ging es um alles. Er hätte ja nur seine Thesen widerrufen müssen und alle Probleme und Sorgen wären gelöst gewesen. Aber er zeigt Rückgrat und handelt nach seinem Gewissen. Als aufrechter Christ. Es galt für Luther und wenn es um die Freiheit des Gewissens geht, stimmt es auch heute noch: Ich stehe hier und kann nicht anders.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24019
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