SWR4 Abendgedanken

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„Alles hat seine Zeit“, heißt es in der Bibel. „Geboren werden und Sterben. Abbrechen und Bauen. Finden und Verlieren. Weinen hat seine Zeit und Lachen hat seine Zeit.“ (Prediger Salomos, Kap. 3).
Die Menschen in der Bibel haben gewusst: Nichts ist so beständig wie der Wechsel. Zum Beispiel folgen auf traurige Tage wieder fröhliche. Das gilt auch für den, der einen lieben Menschen verloren hat, sagt die Bibel: Die Trauer darf ein Ende haben. „Weinen hat seine Zeit.“ Und die ist nicht endlos.

Davon erzählt ein altes Märchen. Der Titel: „Das Tränenkrüglein“. Ich will es Ihnen erzählen: Eine Mutter verlor das Liebste, was sie hatte: ihre kleine Tochter. Das Mädchen war an einer Seuche erkrankt und nach kurzer Zeit gestorben. Da erfasste die Mutter ein gewaltiger Schmerz. Sie aß nicht und trank nicht und weinte tage- und nächtelang ohne aufzuhören. Sie rief nach ihrem Kind. In einem nächtlichen Traum erschien das Kind und bat sie inständig, ihre Trauer zu beenden. Sie reichte der Mutter einen kleinen Krug, der voll war mit Tränen, die die Mutter um ihr Kind geweint hatte. „Wenn du noch eine Träne um mich weinst“, sagte das Kind,“ so wird das Krüglein überfließen, und ich werde dann keine Ruhe haben. Darum weine nicht mehr um mich, denn ich bin wohl aufgehoben und Engel sind meine Gespielen.“ Das gefüllte Tränenkrüglein zeigte an, dass die Zeit der Trauer ein Ende hat.

Mich erinnert dieses Märchen an einen Bibelvers: „Sammle meine Tränen in deinen Krug, Gott. Ohne Zweifel, du zählst sie.“ (Psalm 56,9). Ich verstehe das so: Gott weiß, wie es einem trauernden Menschen geht. Er sieht jede Träne. Im Bibelvers heißt es weiter: „Ich darf in deiner Nähe weiterleben, Gott, weil du mich das Licht sehen lässt.“ Das haben schon viele Trauernde erfahren: Gott hat ihnen geholfen, wieder Freude am Leben zu finden. Weil er möchte, dass traurige Menschen irgendwann wieder fröhlich sind, Freunde treffen und das tun, was ihnen Freude macht. Die Tage der Traurigkeit sollen nicht das letzte Wort haben. Etwas Neues darf beginnen. Und Gott ist dabei.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24001
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