SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ruhe, Stillstand. Im christlichen Kalender ist heute Karsamstag. Ein Tag, an dem die Geschichte und die Zeit stillstehen: Jesus ist gekreuzigt und gestorben. Jetzt ist Sabbat, Ruhetag. Die biblischen Erzählungen schildern, wie Jesus eilig begraben wurde, bevor am Sabbat auch diese Arbeit ruhen musste. Und auch die Frauen, die den Toten noch salben wollten, hatten sich zu gedulden – bis zum Sonntag, dem Ostertag.

Ruhe, Stillstand. Für mich – und für viele, die ich kenne – ist das selten geworden. Die Tage sind oft angefüllt bis an den Rand mit Aufgaben und Aktivitäten. Und wenn das Leben doch plötzlich stillsteht – weil Erschöpfung oder Krankheit oder Trauer eine Pause erzwingen – dann ist der ungewohnte Stillstand oft nicht leicht auszuhalten. Dabei, davon bin ich überzeugt, sind Ruhezeiten – die kurzen Momente, aber auch die längeren Phasen – eigentlich wichtig und wertvoll.

Eine, die immer wieder auf den Wert der langen oder kurzen Momente des Stillstands hingewiesen hat, war die französische Sozialarbeiterin Madeleine Delbrel. Sie ist als „Mystikerin der Straße“ bekannt. Für sie waren die Pausen im Leben Zeiten für das Gebet. Zeit, in Verbindung zu kommen mit sich selbst, den anderen und mit dem Grund des eigenen Daseins, mit Gott. Dabei wusste sie aus eigener Erfahrung: Die meisten Menschen haben nicht die Gelegenheit, sich dafür bewusst Zeit zu nehmen in der Hektik des Alltags. Aber sie ist auch überzeugt: „In das beschäftigste, umhergeworfenste Leben, so schreibt sie, dringen doch, wie feiner Staub, leere Zeitteilchen ein. […] Wenn wir behaupten, beten sei unmöglich, so müssen wir uns auf die Suche nach diesem Zeitstaub machen und ihn, so wie er ist, verwerten.“

Wo solcher Zeitstaub zu finden ist, beschreibt Madeleine Delbrel ganz konkret. Welche Freude, sagt sie, sei es doch zu wissen, dass wir zu Gott kommen können, „während die Suppe langsam aufkocht, während wir beim Telefon auf den Anschluss warten, während wir an der Haltestelle nach dem Bus Ausschau halten, während wir eine Treppe hinaufsteigen, während wir im Garten für den Salat ein wenig Petersilie holen.“ (Madeleine Delbrêl, Gebet in einem weltlichen Leben, Freiburg 1993, S. 82)

Mich ermutigen die lebensnahen Ideen von Madeleine Delbrel. Sie ermutigen mich, den Zeitstaub in meinem umtriebigen Alltag zu suchen und ihn zu nutzen, um dem Leben Tiefe zu geben. Und sie helfen mir, die Karsamstage des Lebens, in denen Trauer, Krankheit oder Erschöpfung das Leben anhalten, mit anderen Augen zu sehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23991
weiterlesen...