SWR3 Gedanken

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Freitagnachmittag. Der ICE ist gestopft voll. Der Gang steckt voller Menschen mit Koffern, Rucksäcken und anderem sperrigen Gepäck. Während die einen seelenruhig ihre reservierten Plätze suchen, halten andere verzweifelt Ausschau nach einem freien Platz. Ich auch. Nach kurzer Zeit geht gar nichts mehr. Eingeklemmt zwischen Gepäck und fremden Menschen kommt langsam Unmut hoch. Auch bei mir. Keine sehr angenehme Situation. Unter gestressten Menschen können Unmut und Aggression ja schnell ansteckend wirken. Natürlich  könnte ich mich jetzt auch mit den anderen Fahrgästen über die unfähige Bahn aufregen, die keinen größeren Zug bereitstellt. Könnte über die Rentner schimpfen, die ausgerechnet am Freitagnachmittag die Züge verstopfen müssen. In Windeseile werden wir sicher eine knisternde Stimmung in diesem übervollen Zug haben.

In solchen Situationen ziehe ich es jedoch vor, mich für diesen Moment mal nicht zum Nabel der Welt zu machen. Mir ganz nüchtern einzugestehen, dass jeder dasselbe Recht hat wie ich, zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein. Dass es sogar Pannen und Unvorhergesehenes geben darf und dass nicht immer irgendwer daran schuld sein muss. Ich halte es da lieber mit Papst Johannes, der sich vor über fünfzig Jahren schon selbst ermahnt hat: Johannes, nimm dich nicht so wichtig. So fällt es mir zumindest für diesen Moment leichter, dem nervigen Typen hinter mir mit Gelassenheit zu begegnen. Oder dem verzweifelten alten Mann, der seinen reservierten Platz sucht, die Zeit dafür zu gönnen. Die Möglichkeiten, Menschen zu mögen seien eigentlich jeden Tag vorhanden, hat die Schweizer Schriftstellerin Sybille Berg einmal so wunderbar geschrieben. Stimmt. Denn nicht nur Unmut kann anstecken, manchmal auch ein verständnisvolles Lächeln.

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