SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Françine hat braune, sportlich-kurzgeschnittene Haare, braune Augen; sie ist schlank, mittelgroß; sie geht gerne aus und sie liebt in-die-Ferien-fahren über alles.
Sie wohnt in der Fondation John Bost, einer Einrichtung für körperlich-behinderte Men-schen in Frankreich, in der Nähe von Bordeaux.
Françine kann nicht gehen, sich nicht alleine waschen, nicht ohne Hilfe essen.
Françine kann auch nicht sprechen, aber sie kann sich sehr wohl verständigen: mit dem Kopf nicken, den Kopf schütteln, fragend, ärgerlich oder amüsiert gucken, lachen und weinen.
Wir gehen zusammen in ein Café. Ich schütte den Kaffee, den uns der Kellner bringt, in ihre Schnabeltasse. Stille. Betretenes Schweigen der anderen Cafébesucher. Versteckte Blicke in unsere Richtung. Neugier. Ein kleines Kind läuft los: „Mama, guck mal, die trinkt auch aus einer Schnabeltasse, wie ich!“
Françine lacht, nickt. Offene, freundliche Neugier ist allemal besser als dieses versteckte, beschämte Gucken – denn ist es so beschämend, in einem Café Kaffee aus einer Schna-beltasse zu trinken?
Wir unterhalten uns. Ich erzähle ihr, dass ich aus Deutschland komme und hier noch ein paar Wochen bleiben werde, um die Fondation besser kennen zu lernen; ich erzähle ihr, dass mir das Französische sehr schwer fällt.
Françine nickt. Vermutlich weiß sie nicht, wo Deutschland liegt, wie unsere Hauptstadt heißt und dass man bei uns deutsch spricht.
Aber sie versteht sehr wohl, was fremdsein heißt, was es heißt, wenn man die Sprache seiner Umgebung nicht gut verstehen und sprechen kann.
Françine weiß und versteht mehr, als die Welt ihr zutraut.
Sie kann vielleicht nicht lesen und schreiben, kennt nicht viele Fakten der Welt, aber da-für versteht sie oftmals mehr vom Leben als mancher so genannte - „normale“ Mensch.
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