SWR3 Gedanken

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„The Power of we“, „Die Macht des Wir“ steht auf der Heckscheibe des Autos, das gerade vor mir hält. Es ist der Slogan der Firma, der dieser Firmenwagen gehört. Das ist typischer Werbesprech denke ich und fühle mich trotzdem irgendwie unbehaglich. Denn der Satz setzt sofort meine Fantasie in Gang. Unweigerlich kommen mir Gewerkschaften in den Sinn, die für bessere Arbeitsbedingungen streiten. In ihrem Rücken die Macht des Wir. Auch das Begräbnis eines guten Bekannten fällt mir ein. Wie wohltuend war es für seine Familie, in ihrer Trauer getragen zu werden vom großen Wir der Trauergemeinde.

Doch während ich noch so nachsinne, entstehen im Kopf auch schon die anderen, hässlichen Bilder. Die der selbsternannten besorgten Bürger etwa, die voller Hass gegen alles Fremde pöbeln. So richtig stark gemacht erst durchs Wir. Und natürlich haben sich auch die historischen Bilder der Nazi-Aufmärsche ins Gedächtnis eingebrannt. Fanatisierte, jubelnde Massen am Straßenrand. Berauscht von der Macht des Wir und längst jenseits von Vernunft und Moral. Bilder, die sich bis heute in totalitären Staaten wiederholen. Die Macht des Wir zu beschwören kann ganz schön zwiespältig sein.

Vielleicht reagiere ich darum auch so allergisch auf diesen Satz. Egal, wo er bemüht wird. Auf Parteitagen und Kundgebungen. Auf Kirchentagen und auch in unseren Gottesdiensten. Die Macht des Wir ist großartig. Aber sie kann missbraucht werden und regelrecht süchtig machen. Und da gilt leider dasselbe, was für jede Bierflasche gilt: Genießen ja, aber bitte immer mit Verstand.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23967
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