SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

In einer der schönsten Geschichten des Neuen Testaments spielt ein kleiner Junge eine wichtige Rolle. Und das, obwohl er nur nebenbei erwähnt wird. Es heißt von ihm lediglich, er habe fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Das ist alles. Aber fünf Brote und zwei Fische reichen eben nicht aus, wenn man mit 5.000 Männern unterwegs ist.

Was wollen die alle? Die Leute haben Hunger. Und Jesus will sie satt bekommen. Und zwar mit den fünf Broten und zwei Fischen des kleinen Jungen. Mehr lässt sich auf die Schnelle nicht auftreiben. Dass es am Ende gelingt, ist als das Wunder von der Brotvermehrung in die Geschichte des christlichen Glaubens eingegangen. Aber kaum einer – auch damals nicht – hat angenommen, dass es dabei um den Hunger geht, der sich im Magen bemerkbar macht. Sondern um einen anderen Hunger. Um einen, den jeder Mensch kennt, und manchmal hart zu spüren bekommt.

Ich stelle mir vor, diese Szene spielt sich heute ab: Da ist in der Menge der vielen ein Mann, so um die 65 Jahre alt, der seine Enkel nicht sehen darf. Er hat sich so mit seiner Tochter zerstritten, dass sie nicht mehr miteinander reden. Kein Telefonat, kein Besuch. Die Tochter blockt alles ab. Wenn der Vater allein ist, schaut er manchmal Fotos von seinen Enkeln an, Bilder von früher, kurz nach der Geburt und aus der Kindergartenzeit. Dann tut es besonders weh, wenn er merkt, wie weit weg die Kleinen inzwischen von ihm sind, und wie sehr er sich danach sehnt, sie in den Arm zu nehmen, sie anzulachen; wie sehr ihm ein Kuss von ihnen gut tun würde. Wer bloß kann ihm dabei helfen, wer weiß Rat?

Wieder zurück am See Genezareth zur Zeit Jesu. Die Menschenmenge ist groß. Alle dort haben Hunger nach dem, was man zum Leben braucht. Bemerkenswert daran ist: Die Grundlage, um den Hunger zu stillen, kommt von einem Kind. Der Junge hat mit seinen Broten und Fischen offenbar alles dabei, was gebraucht wird, um satt zu machen. Es braucht dann nur noch einen, der es geschickt genug anstellt, damit die Nahrung auch verteilt wird, so dass es am Ende für alle reicht. Jesus hatte offensichtlich diese Gabe.

Und der kleine Junge? Er hat am Ende seine fünf Brote und zwei Fische nicht mehr. Aber er hat mit angesehen, was passiert ist, als sie verteilt wurden. Wie ein Lachen über manche Gesichter ging, was für ein Gefühl der Gemeinschaft entstanden ist und wie zuletzt jeder zufrieden war. Er weiß, dass er daran Anteil hat, dass es ohne ihn nicht funktioniert hätte. Und das wird er sein ganzes Leben nicht mehr vergessen haben.

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