SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Mitte März war ich in Rom. Mit vierhundert Chorsängern. Das ist ein großer Haufen von Menschen. Und die alle unter einen Hut zu bringen, ist ganz schön anstrengend. Sie müssen transportiert werden, damit sie gemeinsam zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Die strengen Kontrollen müssen zügig absolviert werden. Alle wollen zur gleichen Zeit essen. Und vor allem: Eine Gruppe aus 400 Personen will erst noch zu einem Chor geformt werden.

Bei so einem Unternehmen gibt es auch Schwierigkeiten: Einer geht verloren im Trubel der großen Stadt. Einer wird krank. Einer verpasst den Anschluss und kommt zu spät. Und dem einen oder anderen passt einfach irgend etwas nicht. So etwas kommt vor, wenn viele Menschen dicht aufeinander sind. Jeder ist eigen, aber kann seine Eigenheiten nicht ausleben in dem Moment, muss sich zurück nehmen und anpassen. Da ist schon mal einer enttäuscht oder beleidigt.

Im Rückblick muss ich sagen: Alles hat erstaunlich gut geklappt. Besser, als ich es erwartet hatte. Und ich glaube, dafür gibt es hauptsächlich einen Grund: Die Gruppe hat jeden Tag miteinander gesungen. Und dazu noch: zum Lob und zur Ehre Gottes gesungen. Wir waren nicht in erster Linie auf einer Urlaubs- oder eine Bildungsreise. Nein, wir waren Pilger. Auf dem Petersplatz, bei der Papstaudienz, sind wir die größte Gruppe gewesen. Unübersehbar und vor allem unüberhörbar haben wir unseren Glauben bekannt. Der Papst hat uns gesehen und gehört und unsere Gruppe begrüßt. Wie stolz wir da waren! Beim Gottesdienst in der Kirche Santa Caecilia haben wir uns besonders angestrengt. Die Heilige, die dort begraben ist und verehrt wird, ist die Schutzpatronin der Kirchenmusik. Und wir sind hinterher regelrecht beseelt gewesen, weil’s so schön war. Diese Erlebnisse waren besonders. Dabei vor allem das Gefühl, wie viel möglich ist, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht. Und beim Singen im Chor spürt man das eben sehr deutlich. Chorgesang funktioniert erst dann, wenn es ein Geben und Nehmen jedes einzelnen ist. Nur so entsteht Harmonie, und nicht alles hört sich gleich an, sondern differenziert, fein, zärtlich oder kraftvoll. Als Sänger spürt man, wann und wie das gelingt, und es tut gut, ein Teil davon zu sein, Teil von etwas Großem, Teil vom großen Ganzen.

Auf der Romreise habe ich erfahren: Das wirkt sich auch auf die anderen Bereiche des Lebens aus. Es überträgt sich. Der einzelne nimmt Rücksicht. Und er ist bereit, sich zu versöhnen, wenn es einen Misston gibt. Weil es auf den Gesamtklang ankommt. Diese schöne Erfahrung bewahre ich mir - als Vorbild und Ansporn - für die vielen Situationen, wo Menschen unter einen Hut zu bringen sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23951
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