SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Sprechen Sie nicht mit Fremden; sie könnten Freunde werden. So lautet der aktuelle Werbeslogan einer Zigarettenmarke. Ich finde, dass in diesem Spruch eine doppelte Provokation enthalten ist. Und das ist ganz schön pfiffig. Es ist zum einen aufregend, davor zu warnen, einem Fremden zu begegnen. Denn genau das tun ja immer mehr Menschen - in der Politik und am Stammtisch. Aber hier ist es ironisch gemeint, also nicht ernst, sondern augenzwinkernd. Das wird aber erst klar, wenn man den zweiten Teil des Slogans liest:Nur wenn du dich traust, einen Fremden anzusprechen, wirst du einen neuen Freund finden. Überraschend, unerwartet, aber um so schöner.

Sprechen  Sie nicht mit Fremden; sie könnten Freunde werden.

Das Fremde und der Fremde. Seit viele der Menschen, die auf unserer Erde auf der Flucht sind, auch zu uns kommen, haben diese Worte einen anderen Klang bekommen. Sie wecken bei etlichen Unsicherheit, und manche reagieren darauf mit Angst. Es ist zwar altbekannt, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Aber was nützt dieses Wissen, wenn Menschen eben Angst an den Tag legen. Und wenn ihre Angst von einem Teil der Politik ausgenützt, ja missbraucht wird, wie ich finde. Wenn einer Angst hat, dann hat er sie. Es nützt nichts, darüber zu diskutieren. Angst ist ein starkes Gefühl. Sie hat viel Macht über uns. Sie schränkt unsere Möglichkeiten ein. Wir sind dann nicht mehr frei, um gelassen zu reagieren. Wir ziehen uns auf uns selbst zurück und im schlimmsten Fall verkriechen wir uns. Dann wird der Fremde womöglich zum Feind. Wo gar nichts ist, sehe ich auf einmal eine Gefahr. Ich meine, mich verteidigen zu müssen, obwohl da gar keiner ist, der mich angreift oder bedroht. Ich weiß natürlich, dass es auch unter Fremden schlechte Menschen gibt. Aber das hat nichts damit zu tun, dass sie fremd sind. Böse Menschen gibt es überall. Wenn ich allerdings hinter allem, was anders aussieht oder redet, eine Gefahr vermute, und mir das auch noch eingeredet wird, dann vergiftet das auf Dauer das Klima. Und das will ich nicht. Ich will nicht, dass es schwierig wird, damit aus Fremden Freunde werden.

Was kann ich dafür tun? Ein Mittel gegen Angst ist Vertrauen. Ich muss mein Vertrauen pflegen. Zum Beispiel, indem ich mich daran erinnere, welche schönen Erlebnisse ich schon mit Fremden hatte. Und wie ich selbst als Fremder höflich und gastfreundlich behandelt wurde, wenn ich im Ausland war. Wobei manchmal ja schon das Nachbardorf „feindliches Ausland“ ist. Und ich gebe nicht auf, den Fremden bei uns mit einem Vertrauensvorschuss zu begegnen. Und immer wieder auch einen anzusprechen. Dazu brauche ich nicht mal eine Zigarette.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23948
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