SWR2 Wort zum Tag

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Was ist Wahrheit? Alt, sehr alt ist diese Frage! Ich denke dabei sofort eine Geschichte, die im Neuen Testament überliefert ist. Wie Jesus verhaftet und zum Verhör vor den römischen Gouverneur Pilatus gebracht wird. 

Es entsteht ein kurzes Gespräch. Pilatus will sich ein Bild machen von den Vorwürfen gegen Jesus. Wer das ist, der da vor ihm steht? Jesus sagt: „Ich bin in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll.“  Pilatus reagiert voller Skepsis. Wahrheit? Was ist schon Wahrheit? Spielt nicht jeder von uns, je nach Bedarf, auf den schwarzen Tasten seiner Halbwahrheiten und Lügen?

Von Otto von Bismarck stammt der Satz: "Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd". Man könnte auch gleich sagen, es gibt ununterbrochen die Gelegenheit, die Wahrheit zu verbiegen.

Da sind die kleinen Lügen des Alltags, von denen Statistiker sagen, Menschen lügen über 200 mal am Tag. Aus Angst, aus Scham, aus Höflichkeit. Und die Lügen im Großen. Lügen, um die eigene Macht abzusichern oder um überhaupt erst an die Macht zu kommen. Oft sind Wahrheit und Lüge so eng ineinander verwoben, dass sie für Außenstehende nur schwer zu durchschauen sind.

Was also ist Wahrheit? Ich glaube, es gibt keine einfache Antwort. Sie zu finden, setzt allerdings voraus, dass ich Urteile prüfe, vor allem auch meine eigenen. Und Zweifel zulasse. 

Die Frage nach der Wahrheit spielte auch im Jüngerkreis Jesu eine große Rolle. Es gab damals römische Gottheiten, die angebetet werden mussten. Es gab den Kaiser, der göttliche Verehrung für sich beanspruchte. Was wollte da dieser einfache Zimmermannssohn aus Nazareth?

„Ich bin der Weg, und die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus seinen Jüngern. Ist das nicht reichlich anmaßend? Vielleicht erscheint das so auf den ersten Blick. Ich finde aber, es ist ein wahres und kluges Wort. Bei dem es auf die Reihenfolge ankommt!

Am Anfang steht der Weg. Steht mein Fragen und Suchen nach der Wahrheit. Dafür brauche ich Zeit. Manchmal sehr viel Zeit. An zweiter Stelle die Wahrheit selbst, die sich mir erschließt, indem ich sie mir vertraut mache. Indem ich ausprobiere, ob sie trägt und wieweit sie trägt. Und schließlich: das Leben. Das Gespür und die wachsende Gewissheit, dass ich auf diesem Weg und mit dieser Wahrheit mein Leben führen kann und will.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23922
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