SWR2 Wort zum Tag

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„Die Wahrheit wird euch frei machen“. Dieses Wort aus der Bibel steht, eingemeißelt, über dem Haupteingang der Heidelberger Universität. Als junger Student der Theologie bin ich zu meinen Vorlesungen jahrelang darunter hindurchgegangen. Ohne ihm große Aufmerksamkeit zu schenken.

Heute denke ich oft über dieses Wort nach. In Zeiten, in denen die Wahrheit mit Methode aus dem öffentlichen Gespräch vertrieben wird, in Zeiten, wo die Kunst, falsche Nachrichten zu verbreiten, zu hoher Blüte kommt, gilt es, die Wahrheit - oder besser gesagt: die Suche nach der Wahrheit - entschieden zu verteidigen.

Allerdings mache ich mir keine Illusionen. Gelogen wurde schon immer. Und schon immer durfte man mit einiger Berechtigung fragen, ob es in der Politik tatsächlich um das behauptete „größte Wohl aller“ ging. Oder ob sich dahinter nicht, wie hinter einem grellen Plakat, partikulare Interessen versammelten von Einzelnen, Parteien, Staaten.

"In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt“, hat der Politiker Egon Bahr in einem Gespräch mit Schülern gesagt.

Dennoch sollte dabei nicht die Wahrheit unter die Räder kommen. Sie ist die Basis dafür, dass Interessen fair ausgehandelt werden. Dass Menschen, über alle politischen Gräben hinweg, Vertrauen und Respekt füreinander entwickeln können.

„Die Wahrheit wird euch frei machen“. Jesus sagt diesen Satz zu Menschen, die verunsichert sind. Und in Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Er sagt nicht: Ihr müsst mir blind folgen. Er sagt: die Wahrheit wird euch frei machen.

Jesus weiß, Wahrheit ist der Anfang der Freiheit. Sie ist die Bedingung dafür, dass Menschen nicht unter dem Diktat der Lüge leben müssen. Klar, nicht immer schaffe ich es heutzutage, alle Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Da hilft es mir, auf das zu vertrauen, was sich bisher als vertrauenswürdig erwiesen hat.

Darum übersetze ich das Wort Jesu so für mich: Wenn ihr euch meinem Wort anvertraut, werdet ihr unterscheiden lernen zwischen wahr und falsch. Dann werdet ihr manchen Wahrheitsanspruch als hohl entlarven. Und die befreiende Erfahrung machen, dass Wahrheit den Boden bereitet für einen menschlichen und respektvollen Umgang miteinander.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23921
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