SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wenn ich überlege, wann ich mich in meinem Leben am meisten gefreut habe, dann war das der Tag, an dem mein Sohn geboren wurde. Ich habe nie zuvor und nie danach eine so tiefe, umfassende, erfüllende Freude gespürt. Möglicherweise liegt das daran, dass einem bei der Geburt eines Menschenkindes ganz unmittelbar deutlich wird, dass man gerade etwas ganz Großes geschenkt bekommt und dies ein unfassbares Wunder ist, das man sich im tiefsten Sinn nicht erarbeiten kann. Auf Platz 2 meiner persönlichen Freudensliste steht daher auch der Tag, an dem ich festgestellt habe, dass ich einen Menschen gefunden habe, den ich liebe und der auch mich liebt. Auch das ist ein unglaubliches Geschenk und alles andere als selbstverständlich.

Sowohl Kinder als auch eine Lebensliebe kann man bekommen und erfahren, ohne dass man glaubt. Ich persönlich freue mich darüber, dass ich mich für beide Geschenke – wie auch für andere Freudentage – bei meinem Gott bedanken kann. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Dank meine Freude vertieft. Ich finde, mein Dank unterstreicht, dass ich Lebensgeschenke nicht selbstverständlich nehme, mein Dank ist für mich wie die Fassung eines Edelsteins. Insofern ist mein Dank nicht wie das berühmte „Was sagt man gefälligst?“, mit dem Kinder daran erinnert werden, der Patentante angemessen für das zugedachte Präsent zu danken. Es ist vielmehr eine Haltung, die für mich die Freude über ein Lebensgeschenk erst komplettiert. So wie ein Edelstein durch eine Fassung erst tragbar wird. Dies gilt übrigens auch für die Freude über Erfolge, für die ich hart gearbeitet habe. Letztlich kann kein Mensch ganz einsam Erfolg haben, immer sind es andere Menschen, die ihren Teil dazu beitragen. Dass dies geschieht und zum Gelingen führt, ist nicht selbstverständlich.

Manchmal kann ich mich im Rückblick sogar für Misserfolge bedanken und mich darüber freuen. Meistens nicht im Augenblick des Scheiterns selbst, so heilig und erlöst bin ich nun tatsächlich nicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich manche Türen im Leben gerade dadurch eröffnet haben, dass ich nicht das erreicht habe, was ich unbedingt für mich gewünscht habe. Umgekehrt war es nicht immer ein Segen, wenn ich das bekommen habe, was ich unbedingt haben wollte. Viele Menschen haben mir erzählt, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Das macht einen nicht unbedingt fröhlicher, wenn man im Leben auf die Nase fällt, aber doch etwas entspannter. Und neugierig darauf, wie es wohl weitergeht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23912
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