SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

Ich treffe mich mit Anette Kloos. Sie ist Nachlasspflegerin und lebt mit ihrer
Familie in Lustadt mitten in der Pfalz. Die 49-jährige kümmert sich im Auftrag des Nachlassgerichtes um Testamente und Nachlässe von Verstorbenen. Der Umgang mit Sterben und Tod ist nicht immer leicht, doch sie hat für sich, so sagt sie mir in unsrem Gespräch, die richtige Form von Nähe und Abstand gefunden. Es sei eine notwendige Arbeit.

Es gibt Situationen, das geht sie (die Arbeit) mir sehr nahe, insbesondere, wenn ich erkenne, dass die Erblasser sehr einsam, sehr isoliert lebten  und um Hilfe schrien, und diese Hilfe entweder nicht erhielten oder auch nicht annehmen können.

A
nette Kloos schaut mit ihrer Arbeit als Nachlasspflegerin tief in fremde Familiengeschichten hinein, lernt ganze Generationen schnell so gut kennen wie ihre eigene Familie. Es geht doch sicher meist um’s Geld, vermute ich, doch Anette Kloos widerspricht mir.

Ich habe Familien zerbrechen sehen, und haben eine Familiensituation vor Augen: Da finde ich entsetzlich, was aus einer tollen Familie geworden ist, einfach, weil es die Mutter versäumt hatte, hier rechtzeitig Regelungen zu treffen, aber vor allem das Gespräch mit ihren Kindern zu suchen.

Das Gespräch suchen, das nicht einfach ist: Über den Tod, über das Geld, über das Haus, über die wertvollen Originale an den Wänden im Wohnzimmer. Wer soll das bekommen? Darüber muss gesprochen werden, vernünftig,  mit den altgewordenen Eltern, aber auch mit den eigenen Kindern. Immer wieder erlebt Anette Kloos, dass diese Gespräche ausgeblieben sind.

Belastend kann für mich sein, wenn ich erkenne, wenn minderjährige Kinder ihre Eltern verlieren, oder Kinder über viele Jahre keinen Kontakt zum verstorbenen Elternteil hatten, und sich dann nach Ableben dieses Elternteiles mit heftigen Fragen und Gewissensbissen, Nöten quälen: Warum dieser Kontakt nicht da war, und sie keine Möglichkeit mehr haben, dieses Gespräch zu suchen. Und zu finden.

Anette Kloos hat den Wunsch des Erblassers zu erfüllen und gegenüber möglichen Erben zu vertreten.

Wenn der Erblasser sich Zeit seines Lebens dazu entschieden hat, zurückgezogen zu leben und seine Geheimnisse entwickelt hat, dann ist es auch meine Aufgabe, diese Geheimnisse zu wahren und nicht preiszugeben.

Geheimnisse wahren zu dürfen. Und doch frage ich Anette Kloos danach, wie sie einmal sterben und begraben sein möchte:

Ich möchte für mich in Würde streben dürfen, im Beisein meiner Familienangehörigen. Ich möchte in der Natur bestattet werden. (…) Ich komme von der Natur und möchte zur Natur zurück. Und entsprechend möchte ich von dieser Welt gehen dürfen, und auch dort beerdigt werden dürfen.

„Ja, da war ich Seelsorgerin!“

Anette Kloos ist Nachlasspflegerin und lebt mit Mann und Sohn in Lustadt in der Pfalz. Ihre Arbeit verrichtet sie im Auftrag des jeweiligen Nachlassgerichtes. Die muss sensibel verrichtet werden, denn es geht um die Würde von verstorbenen Menschen, und es geht um die Trauer von Menschen, die einen – meist geliebten – Menschen verloren haben.

Um meine Arbeit gut und richtig machen zu können, muss ich Menschen zuhören können. Das ist auf der einen Seite eine Begleiterscheinung in meinem Beruf, den ich als sehr angenehm, sehr wohltuend empfinde, mich mit Menschen an einen Tisch zu setzen, (…) erkennen zu können, wenn sie reden, wie ruhig sie auf einmal werden, den Ballast, los werden zu können, und zwar gegenüber einer fremden Person. Wo sie auch keine Angst haben muss, dass ich das irgendjemand gegenüber ausplaudern oder nachteilig gegen sie verwende.

Menschen gut zuhören können. Das kann Anette Kloos. Als ich sie frage, ob sie denn so zu einer Seelsorgerin werden würde, winkt sie erst mal ab: 

Ich weiß nicht, ob ich Seelsorgerin bin, aber ich habe den Eindruck, (…4‘05), dass es den Menschen gut tut, wenn es zwischen Erben Schwierigkeiten gibt, dass da ne dritte Person mit dabei ist, die versucht, mit ner großen Neutralität eine Harmonie zwischen den Beteiligten zu erreichen. (4’17) ich verstehe mich häufig auch als Mediatorin, aber nicht unbedingt als Seelsorgerin.

Dann aber wurde Anette Kloos vor einiger Zeit von einer befreundeten Familie gebeten, am Grab eines Verstorbenen die Predigt zu halten.

Ich war im ersten Moment etwas überrascht, Ich empfinde es immer noch als eine sehr große Ehre., dass ich diese Grabrede halten durfe. (…U.B.: Also doch Seelsorgerin?) – Wenn Sie das so sagen, (lacht), ja, in dem Moment war ich Seelsorgerin, das ist richtig.

Als Seelsorgerin hat man auch einen Glauben, denke ich mir. Anette Kloos ist evangelisch, und für ihr Leben gilt:

Ich bin Christin, ich glaube an Gott, und ich glaube an die Nächstenliebe. Und in diesem Sinne lass ich diesen Glauben auch in meine Arbeit einfließen.

Die Arbeit als Nachlasspflegerin erfüllt Anette Kloos. Das spüre ich in unserem Gespräch immer wieder. Sie versucht, Menschen in einer  schwierigen Situation hilfreich zur Seite stehen zu können…

…und das geht ja über Monate, dass da auch ne Vertrauensbasis wächst (…) uns einfach mal in den Arm nehmen und sagen: Es war ne gute Zeit, wir haben gemeinsam viel erreicht. Die Menschen können gestärkt in ihrem Leben weitergehen und auch ich kann in meinem Leben gestärkt weiter gehen. Dann haben wir aus einer schwierigen Situation etwas Gutes mitgenommen.

Mit seiner beruflichen Arbeit Menschen zu stärken – was für eine wunderbare Aufgabe. Selber gestärkt gehe ich meinen eigenen Lebensweg weiter.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23864
weiterlesen...