SWR2 Wort zum Tag

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Kann es heilsam sein, wenn man sich erinnert, wie man einander weh getan hat? Können alte Verletzungen heilen, wenn man sie wieder hoch holt?
Diese Frage stellt sich privat, zwischen Staaten, die sich bekriegt haben. Und zwischen Christen. Wenn Sie katholisch oder evangelisch sind, Sie erinnern sich vermutlich, dass Sie deswegen verletzt worden sind. Wie kann erinnern das heilen?

Ich denke an eine kleine Begebenheit und wundere mich, dass sie in mir nachgewirkt hat: Evangelischer Kirchentag in Köln 2007. Auf dem Heimweg ins Hotel. Durch die obligatorischen Kirchentagsschals sind wir als „Evangelische“ erkennbar und begegnen einer Gruppe Kölner. Im Vorbeigehen ruft einer: „Da, schon wieder so ne Trupp von Heiden.“ Das war lustig. Aber auch befremdlich und verletzend. „Evangelische, Heiden, 2007?“ Anscheinend wirkt da was, immer noch. Bei Kölnern und bei mir.

Darin waren sich Katholiken und Evangelische lange einig: Es macht die eigene Identität stark, wenn man ein Gegenüber hat, von dem man sich abgrenzt. Das man bekämpfen, kränken kann, ja sogar bekriegen konnte. Wie geht erinnern, dass daraus etwas Heilsames entsteht? Klar, den anderen um Verzeihung bitten. Wo man ihr das Christsein streitig gemacht und ihn als Menschen verletzt hat.

Aber ich glaube, es ist noch was wichtig beim Erinnern.
Das Erste: Ich weigere mich, mich schuldig zu fühlen für die Sünden von früher. Das scheint Ihnen überheblich? Nein. Wir Heutigen sind nicht schuldig, dass Evangelische und Katholiken damals gegeneinander Krieg geführt haben und vieles mehr.
Verantwortlich, das ja: Alles zu tun, dass unser Glaube nicht zum Kampfmittel gegen Andersdenkende und Andersgläubige werden kann.

Und das zweite: Wir sollten uns so erinnern, dass es uns jeweils „stark“ macht. „Evangelisch stark, katholisch stark, freikirchlich stark“. Stark, nicht überheblich.
Warum das? Das lehrt mich die Erinnerung an das Erlebnis in Köln. Wieso konnte mich der freche Zuruf „Heide“ treffen? Warum war ich verletzbar? Wirkt da ein evangelisches Schamgefühl? Von wegen, ‘Evangelische sind schuld an der Kirchentrennung und Kirche im Vollsinn des Wortes, können sie nicht sein.’

Aber die Erinnerung sagt mir etwas anderes: „Schuldig“ an der Kirchentrennung sind alle. Und Kirchen sind wir auch alle. Christen, die ehrlich glauben und in Jesu Spuren leben, können „stark“ sein. Dann können die anderen sie nicht verletzen, selbst wenn sie wollten. Ich glaube, so wird Erinnern heilsam: Wenn jeder „stark“ er selbst wird. Selbstbewusst und selbstkritisch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23857
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