SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

Aller Augen warten auf dich Herre

Und du gibest ihnen ihre Speise zu seiner Zeit.

Du tust deine milde Hand auf

und sättigest alles, was da lebet mit Wohlgefallen.

"Aller Augen warten auf dich o Herr, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du öffnest deine Hand und sättigst alles, was da lebt, nach deinem Gefallen."

Die bekannten Verse des Psalms 145 hat Heinrich Schütz zu einem 4-stimmigen Satz  vertont , der mich jedesmal berührt, wenn ich ihn höre oder selbst singe.

Satt werden – das ist eine Urerfahrung. Wenn ein Säugling die süße, warme Milch aus der mütterlichen Brust trinkt, dann nimmt er nicht nur Nährstoffe auf sondern er schmeckt zugleich die Liebe seiner Mutter: ihre Zuwendung und Nähe, ihre liebevollen Blick und Worte ….und so wird der Hunger gestillt:  der Hunger des Leibes und der Seele. Wirklich satt werden hat immer mit beidem zu tun. Ein voller Kühlschrank allein reicht dafür nicht aus.

Satt werden und Hunger haben  - beides gehört zu unserem Mensch sein. Auch wenn wir gut gegessen haben –spätestens nach einem halben Tag werden wir wieder hungrig. Kein Wunder, dass die Sorge um das tägliche Brot die Menschen immer umgetrieben hat: säen und ernten, ertragreichere Pflanzen und Haustiere züchten, Schädlinge bekämpfen, Nahrungsmittel haltbar machen und veredeln, Handel treiben mit kostbaren Gewürzen – das alles haben Menschen getan, um satt zu werden. Aber in allem Mühen und Fleiß waren sie immer auch einem größeren Geschehen ausgesetzt: dem Wetter, der Fruchtbarkeit, Schädlingen und Krankheiten . Deswegen versuchten sie, ihren Gott durch Opfer gewogen zu machen: mit den ersten Getreidekörnern und Früchten   oder den ersten Tieren, die nach dem Winter geboren wurden.

Im Psalm 145 ist allerdings nichts von einem ängstlichen Handel mit Gott zu spüren.  Im Gegenteil : Gott ist großzügig „Du öffnest deine Hand und sättigst alles, was da lebt, nach deinem Gefallen“ so betet der Fromme. Dass er und alles Lebendige um ihn immer wieder satt wird, ist für ihn eine unmittelbare  Gotteserfahrung. Darin spürt er Gottes Wohlwollen und seine Gnade. Allerdings gehört für ihn dazu auch, sich mit seiner ganzen Existenz auf Gott auszurichten:

„Aller Augen warten auf dich, o Herr, und du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit.“

Aber was ist mit den anderen? Die nicht satt werden? Sind sie von Gottes Wohlwollen ausgeschlossen?  Einige Verse später heißt es in dem Psalm:

„Die Wünsche derer, die ihn fürchten, erfüllt der Herr, er hört ihr Schreien und rettet sie. Alle, die ihn lieben, behütet der Herr, doch alle Frevler vernichtet er.“

Das klingt für mich zynisch, wenn ich an die Menschen im Jemen oder in Teilen Ostafrikas denke, die aktuell vom Hunger bedroht sind. Und überhaupt: der Hunger wurde nicht durch religiöse Inbrunst besiegt sondern durch Fortschritte in der Landwirtschaft, durch Bewässerung und Düngemittel, Traktoren und Mähdrescher. Einerseits.

Und andererseits führt gerade dieser Erfolg teilweise auch zum Hunger. Weil wir unsere subventionierten Lebensmittelüberschüsse nach Afrika exportieren, brechen dort die Märkte für die Kleinbauern zusammen. Weil unser Fleischkonsum übermäßig ist, werden Agrarflächen  in der 3. Welt einseitig für Viehfutter benutzt. Weil an den Börsen mit Nahrungsmitteln spekuliert wird, werden sie für die Armen unerschwinglich. Von den Folgen der Klimaveränderung ganz zu schweigen, die Dürren und Überschwemmungen gerade in die Länder bringen, die sie am wenigsten verursacht haben.

Dass alle Menschen satt werden, wäre möglich. Gott hat uns seine Welt überreich anvertraut.  Aber Kriege, ungerechte Wirtschaftsstrukturen, mangelnde Bildung , und die Korruption der Eliten lässt den Hunger wachsen. Und zugleich die Unersättlichkeit. Denn wer die Liebe nicht mehr schmecken kann, die allein die Seele sattmacht, muss immer mehr konsumieren und sich einverleiben.  Und er hat doch nie genug.

Wir sind jetzt mitten in der Fastenzeit. In diesen 40 Tagen sollen Christen sich darin üben, freiwillig zu verzichten. Um mit denen zu teilen, die nicht genug haben. Und um zu spüren, was wirklich satt macht.

"Aller Augen warten auf dich Herre und du gibest ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du tust deine milde Hand auf  und sättigest alles, was da lebet mit Wohlgefallen." (Ps 145)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23838
weiterlesen...