SWR3 Gedanken

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Die Tasse hat einmal seinem Großvater gehört. Grau mit blauen Sprenkeln und mit einer kleinen Kuhle am Henkel, in die der Daumen hineinpasst. Er liebt diese Tasse, aber jetzt ist der Henkel abgebrochen. Oder die großen Essteller mit dem Rosenmuster. Eigentlich zu groß. Zu Etepetete. Aber ein Geschenk der Lieblingstante zur Hochzeit. Und deshalb gibt es an Weihnachten darauf immer die Gans mit Maronen gefüllt. Aber jetzt ist ein Teller runtergefallen und in zwei Teile zerbrochen.

Geschirr begleitet uns durchs Leben. Und manchmal verbinden sich mit Tellern und Tassen Geschichten. Gehen sie zu Bruch, dann geht auch ein Stück Erinnerung in die Brüche. Deshalb werden in Japan zerbrochene Schüsseln und Tassen häufig wieder geflickt. Die Japaner haben dafür eine besondere Technik entwickelt. Sie kleben die Bruchstellen mit Gold zusammen. Kintsugi nennt sich die Technik. Und mit dem Gold werden die Bruchstellen und Sprünge im Porzellan nicht vertuscht, sie werden sichtbar gemacht. Golden!

Die Japaner finden nämlich: Wenn etwas eine Geschichte hat, dann gewinnt es dadurch gerade an Schönheit. Und durch das Gold trägt die Bruchstelle, das Fehlerhafte und Kaputte, noch mehr zur Schönheit bei. Ein goldener Sprung in der Schüssel – der macht die Schüssel erst richtig schön. Und ich finde, das sollte eigentlich nicht nur für Geschirr gelten.
Und das tut es auch! Der Apostel Paulus jedenfalls meint: Viele Leute leuchten und strahlen deshalb so, weil sie so viel in ihrem Leben erlebt haben, auch Brüche und Verletzungen. Und sie leuchten, weil sie über all diesen Brüchen und Sprüngen nur umso gütiger und weiser und schöner geworden sind.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23830
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