SWR2 Wort zum Tag

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Es ist eine unglaubliche Geschichte. Sie handelt von dem Erfinder Thomas Edison. Als kleiner Schüler bekommt von seinem Lehrer einen Brief mit nach Hause. „Nur für Deine Mutter“, sagt der Lehrer. Die Mutter liest ihm den Brief vor: „Ihr Sohn ist hochbegabt. Wir sind als Schule überfordert, ihn zu unterrichten. Bitte unterrichten sie ihn selber.“ Der Unterricht der Mutter ist sehr erfolgreich. Der kleine Thomas wird schon zu Lebzeiten berühmt. Nach dem Tod der Mutter macht sich Edison an deren Nachlass zu schaffen. Und zufällig fällt ihm auch der Brief des Lehrers in die Hände. Er liest ihn. Da steht: „Ihr Sohn ist gering begabt und nicht auf dem Niveau der übrigen Schüler. Wir wollen ihn nicht mehr in unserer Schule haben. Bitte unterrichten sie ihn selber.“ Edison soll nach dieser Entdeckung stundenlang geweint haben.

Die Mutter hat ihrem Sohn nicht nur die Demütigung der Schule erspart. Sie hat in ihm genau den Menschen gesehen, der in Edison schon geschlummert hat. Im Neuen Testament finde ich einen ähnlichen Gedanken. Dort heißt es: „Es ist noch nicht offenkundig geworden, was wir sein werden.“ (1. Johannes 3,2) Ich habe diesen Satz lange Zeit so verstanden, als würde er eine Aussage nur über mein jenseitiges Leben machen. Aber das nimmt dem Satz womöglich die Spitze. Was ich sein soll und was ich sein könnte, das beginnt doch nicht erst dann, wenn mein Leben auf dieser Erde zu Ende ist. Das beginnt doch schon dann, wenn ich das nutze, was Gott an Möglichkeiten in mich hineingelegt hat. 

Dieser Gedanke lässt mich auch meine Mitmenschen noch einmal ganz anders sehen. Gerade auch die, mit denen ich mich schwer tue. Wie wär’s, denke ich mir, wenn ich mich immer frage: „Was kann dieser Mensch zum Glück der Welt beitragen? Welche besondere Aufgabe traut Gott diesem Menschen zu?“ Ich bin sicher: Es gibt keinen Menschen, bei dem ich nicht fündig werde. Und sei’s nur, weil der eine zu einem Lächeln ist der Lage ist. Und ein anderer sich gut und gern an früher erinnert und Spannendes zu erzählen hat, wenn ich ihn frage.

Nein, nicht jeder ist ein Thomas Edison. Aber auch ich könnte das ein oder andere Mal mithelfen, einem Menschen einen Freiraum zu eröffnen und ihn ermutigen, den entscheidenden Schritt zu tun, den er sich sonst vielleicht nicht zugetraut hätte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23781
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