Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Heute ist Aschermittwoch, der Start in die Fastenzeit, die Vorbereitungszeit hin auf Ostern. Nach Fassenacht und Karneval, nach Völlerei und gutem Wein steht für viele Menschen 40 Tage lang der Verzicht im Vordergrund. Der Verzicht auf Alkohol, auf Zigaretten, auf das Autofahren – es gibt viele Möglichkeiten, sein Leben zu ändern. Eben: Neu anzufangen.

Ich darf in dieser Fastenzeit gleich zweimal neu anfangen:

Ich möchte 40 Tage lang nicht schlecht über andere Menschen sprechen, und ich fange heute damit an. Das sollte man eigentlich nie tun, aber ich kenne mich. Das ist ein echter Neuanfang, der harmlos klingt, aber nicht harmlos ist. Immer wieder muss ich mich zügeln, muss innehalten, wenn ich loslegen möchte „gegen andere“, hinter deren Rücken schlecht reden möchte. Dann merke ich besonders gut, wie oft ich anderen Menschen Unrecht tue, eben in der Art, wie ich über sie rede. – Nicht schlecht über andere reden – ob ich das wirklich schaffe, weiß ich nicht. Aber ich möchte damit beginnen.

Ich darf auch beruflich neu anfangen. In ein paar Wochen steht eine neue Herausforderung ins Haus. Neu anfangen dürfen – das ist ein großes Geschenk, das löst aber auch zwiespältige Gefühle aus. Carolin Emcke, Journalistin und mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2016 ausgezeichnet, schreibt dazu:

„Wer etwas neu beginnt, kann sich nicht auf sich, die eigene Erfahrung oder früheren Status verlassen. Das kennt, wer sich von einer Krankheit oder einem Verlust erholen muss, in einen anderen Job versetzt wird oder sich neu verliebt hat. Wer neu anfängt, begibt sich ins Ungewisse, auch Instabile hinein, er muss denken und handeln ohne Geländer. Das ist so furchteinflößend wie inspirierend.“

Und genauso geht es mir. Der Neuanfang ist furchteinflößend, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Und er ist eben auch inspirierend, weil der Reiz des Neuen mich lockt. Ich hoffe, dass die Furcht immer kleiner wird zugunsten eines großen Geschenks: Ich darf neu anfangen.

(Carolin Emcke, Anfangen, in: Süddeutsche Zeitung 2./3. Januar 2016, S. 5)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23770
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