SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Immer wieder hat Alex Krach mit der Bewohnerin über ihm. Die spielt nämlich gern Klavier, aber sie hält sich nicht an die vereinbarten Klavier–Übezeiten.

Mein Freund Alex arbeitet von Zuhause aus. Deshalb ist das schwer für ihn zu ertragen. Wenn er die ersten Akkorde hört, schlägt sein Puls schon schneller. Nach ein paar Minuten muss er seine Arbeit abbrechen, hochgehen. Wenn er bei ihr klingelt, ist er auf 180. Wenn sie dann aufmacht und ihn dastehen sieht, zieht sie erstmal eine Grimasse.

Das darauf folgende Gespräch hat zwar in der Regel zur Folge, dass sie aufhört zu üben. Aber beide haben danach schlechte Laune. Alex ärgert sich darüber, dass sie seine Arbeitszeiten nicht respektiert. Und sie versteht nicht, was an Musik stören kann und warum er so spießig ist.

Jetzt hat er mir erzählt, dass sich etwas verändert hat. Alex hat sich nämlich an ein Ritual aus der Meditation erinnert: Bevor man anfängt mit dem Meditieren, verbeugt man sich.

Es ist sinnbildlich die Verbeugung vor dem, was mich innerlich beschäftigt und vor dem, was mir begegnet. Diese Verbeugung soll dazu helfen, dass man auch mit Ärger noch bei sich selber bleiben kann. Sich nicht von Gefühlen hinreißen lässt.

So ist Alex also beim nächsten Klavier-exzess nach oben gegangen, hat sich vor ihrer Türe verbeugt und erst dann geklingelt. Der Erfolg hat ihn selber überrascht: Die Studentin zog keine der üblichen Grimassen. Sie hat ihn angelächelt und sich sofort entschuldigt.

Ich weiß leider nicht, ob sie sich seither an die Übezeiten hält. Aber vielleicht ist das gar nicht mehr so wichtig. Die heimliche Verbeugung hat etwas gerade gerückt. Sie sind nicht mehr penetrante Störerin und spießiges Opfer. Sie sind jetzt Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Und begegnen sich damit auf Augenhöhe. Respekt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23739
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