SWR3 Gedanken

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Menschen zum Ausleihen – das gibt´s jetzt bei der Caritas Köln. Aber nicht für Gartenarbeiten oder so, sondern um eine Geschichte zu hören. Um ihre Geschichte zu hören. Das Projekt heißt „lebendige Bibliothek“. 

Schüler einer Fachschule in Bonn haben es ausprobiert. Gleich ein paar Menschen mit interessanten Lebensläufen – also die „lebendigen Bücher“ - sind in die Klasse gekommen, und jetzt dürfen die Schüler sie „leihen“ und „lesen“. Und wie echte Bücher haben auch die „lebendigen Bücher“ einen Titel. Zum Beispiel „Geflohen aus Syrien“ oder „Jüdisch und schwul“ oder „Der Bankräuber“. 

Dietmar ist „Der Bankräuber“ und heute einer der Bestseller. Eine kleine Gruppe von Schülern hört ihm gespannt zu, wie er vor 35 Jahren eine Bank überfallen hat. Dietmar hat das Geld gebraucht, um zu heiraten. Er hat ein Jahr im Verborgenen gelebt, wurde festgenommen und hat seine Strafe abgesessen. Er sagt: „So was machen nur Dumme. Lange war ich sauer auf mich selbst.“ 

Auch Britta wird ausgeliehen. Sie ist blind und erzählt, wie sie 17 Augen OPs über sich hat ergehen lassen. Sie sagt: „Und jetzt ist es ganz dunkel. Schon seit zehn Jahren.“ 

Um Jörn haben sich auch einige interessierte Schüler gesetzt. Er sagt: „Ich bin der Alkoholiker in der Runde. Gesoffen wird überall. Überlegt mal, allein schon, um Mädchen kennen zu lernen.“ Mit Partysaufen hat es angefangen – das kennen die Jugendlichen. Und irgendwann ist eine Sucht daraus geworden. Seit 2 Jahren ist Jörn trocken. 

Für die Schülerinnen und Schüler war dieser Morgen mit den unterschiedlichsten Lebensgeschichten mal was ganz anderes. Sie waren betroffen, neugierig, nachdenklich, sie mussten lachen und manchmal fast weinen. In diesen lebendigen Büchern zu lesen hat aber vor allem dabei geholfen, Berührungsängste abzubauen – auf beiden Seiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23721
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