Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Kennen Sie das Sprichwort vom Splitter und dem Balken? Jesus sagte mal: „Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem eigenen Auge.“ (Mt 7,3) Anders gesagt: Du kritisierst oft die Anderen wegen ihrer Fehler und Schwächen. Aber du siehst nicht, dass du auch Fehler und Schwächen hast. 

Klar -  werden Sie jetzt vielleicht denken! Aber insgeheim ist einem der Balken doch meist bewußt.Ich bin mir da nicht so sicher. In der Geschichte der Frauenbewegung war es oft anders. Da haben die Männer den Splitter in den Augen der Frauenrechtlerinnen gesehen. Aber nicht den Balken im eigenen Auge. 

Simone de Beauvoir war eine von diesen Frauenrechtlerinnen. Sie kämpfte für die Rechte der Frauen in Europa. Heute wäre Sie 99 Jahre alt. Ihren Zeitgenossen war sie damals zu forsch. Zu fordernd. Zu unangepasst. Sie ging nicht den einfachen – ihr vorgezeichneten Weg. 

Nein – Sie hatte Ihre eigenen Vorstellung vom Leben als Mensch, vom Leben als Frau. Sie verließ das katholische Gymnasium und später war ihr die Unabhängigkeit wichtiger als verheiratet und abgesichert zu sein. Sie wollte sich frei entfalten und Ihre eigenen Entscheidungen treffen.

Wenn eine Frau heute wählen geht und eine freie Berufswahl trifft, ist das niemandem ein Dorn im Auge. Es ist normal. Damals noch in den siebziger Jahren verlor eine Frau ihre Staatsbürgerschaft, wenn sie einen ausländischen Mann heiratete – das war normal. 

Heute haben alle das gleiche Recht – aber nicht alle entscheiden frei. Mal mangelt es an der Zeit, am Geld oder der Förderung. Manchmal sehen wir die Hinderungsgründe nicht und manchmal verstehen wir sie auch nicht.

Ich glaube, auch heute hilft es, immer davon auszugehen: wir sehen nicht alles. Jeder hat Balken im Auge, hat eine eingeschränkte Sicht.  Und braucht deshalb den anderen, um besser sehen zu können. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23655
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