SWR2 Wort zum Tag

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Haben Sie schon mal die Kommentare gelesen, die im Internet auf Nachrichten abgegeben werden? Ich meine auf Nachrichtenseiten bei denen man seine Meinung abgeben kann zu einem Artikel. Mich beschleicht ein sehr beklemmendes Gefühl wenn ich sehe, was da so alles zu lesen ist. Neben ausgewogenen Äußerungen fällt vor allem auf, wie viel Aggression und oft blanker Hass da zum Ausdruck kommt. Ich fühle mich beklemmt, weil ich denke: Wie sehr geht doch jegliche Etikette den Bach runter, wenn es möglich ist, eine Meinung anonym abgeben zu können.

Und ein weiteres Phänomen gehört zu den Nachteilen moderner Kommunikation im Internet: Sie stärkt die Extreme, weil es Menschen mit extremen Ansichten die Möglichkeit gibt, nur unter ihresgleichen zu kommunizieren. Weil Wegstrecken keine Rolle spielen, können wenige Extremisten, die eigentlich weit verstreut leben, sich einer Illusion hingeben: Der Illusion, sie wären viele und ihre Meinung sei normal oder zumindest weit verbreitet.

Das Internet lässt sich weder abschaffen noch lässt sich leugnen, welche großen Vorteile es auch hat. Ich selbst nutze täglich ausgiebig diese Vorteile. Aber wenn es darum geht, Meinungen zu äußern hat es eindeutig zu einer Verrohung beigetragen.

Ich möchte das damit vergleichen, wie wir im Straßenverkehr miteinander umgehen: Da wird der Vogel gezeigt und weitere aggressive Gesten auch, da wird geschrieen und gehupt, was das Zeug hält. Begegnet man dem anderen Fahrer aber persönlich an der nächsten Autobahn-Raststätte, ist es einem peinlich, sich so benommen zu haben und man würde niemals genauso unverschämt sein, wenn man sich face to face begegnet.

Was wir daraus lernen können: Auch im Zeitalter des Internet hat die persönliche Begegnung Vorfahrt. Vor der digitalen Welt gibt es erst einmal eine, bei der Menschen aus Fleisch und Blut einander begegnen, miteinander streiten und Lösungen suchen für ihren Streit.

Dann können wir uns nicht verstecken hinter Monitoren und Pseudonymen. Wenn wir den anderen begegnen, sehen wir ihnen ins Gesicht – und sie uns natürlich. Dann überlegt man sich zweimal, ob man seiner Aggression einfach freien Lauf lässt, verletzende Worte wählt und ohne Rücksicht beleidigt.

Die digitale Revolution darf nicht ihre Kinder fressen. Der Handschlag oder sogar die Umarmung bleibt grundlegend für unseren menschlichen Umgang – mindestens aber der Blick in die Augen des Mitmenschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23645
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