SWR2 Wort zum Tag

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Vor kurzem ist der Philosoph Joseph Möller gestorben, einer meiner Lehrer an der Uni-versität, dem ich viel verdanke. Er war hochbetagt, 91 Jahre, und bis zu seinem Tod von bewundernswerter geistiger Kraft. Seine Philosophie wurde bestimmt vom Gedanken der Freiheit. Vor wenigen Monaten wurde nun sein letztes Werk veröffentlicht. „Das Mystische begreifen?“, lautet der Titel. Er selbst hat es als sein wichtigstes und stärkstes Buch bezeichnet. Und auch mir kommt es so vor.
„Das Mystische begreifen?“ Am Ende steht ein Fragezeichen. Das Mystische ist das Un-sagbare. Es ist die Ahnung Gottes. Ahnung eines abwesenden und zugleich anwesenden Gottes. Das Denken kommt hier ebenso wie der Glaube zur innersten Tiefe und zur äu-ßersten Grenze. Am Ende können wir nur fragen, auf eine eigene Antwort verzichten, und vielleicht auch vertrauen, dass uns eine Antwort geschenkt wird..
Joseph Möller hat mich geprägt: was ich vom Leben denke und wie ich zu Menschen ste-he. Ein Lehrer, der mich in meiner Person mitgeformt hat. Was ich ihm verdanke? Frei denken und glauben zu können. Dass es mir oft wichtiger ist zu fragen als zu antworten. Ich habe bei ihm gelernt, immer zu misstrauen, wenn jemand beansprucht, die Wahrheit zu besitzen. In der Begegnung mit ihm – über mehr als 40 Jahre hinweg – habe ich auch zu verstehen gelernt, was Glaube bedeuten kann: in Geist und Herz frei zu werden, offen zu sein, kritisch und skeptisch zu sein, den Zweifel auszuhalten und mich dennoch von einem tiefen Vertrauen getragen zu wissen. „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“, dieses Bibelwort war für meinen Lehrer leitend. Ich könnte mein persönliches Glaubens-bekenntnis nicht treffender zusammenfassen.
Joseph Möller hat ein umfangreiches philosophisches Werk hinterlassen. Eine Aufzählung seiner Bücher, Aufsätze und Vorträge füllt mehrere Seiten. Ebenso bedeutend ist es je-doch, was ein Mensch wie er im Denken, in der Persönlichkeit, in der Lebensgeschichte anderer Menschen hinterlassen hat - bei mir, bei seinen Schülern und Freunden, bei Ge-nerationen von Studierenden. Ein Lebenswerk also, das sich nicht nur in gedruckten Buchseiten ausdrückt, sondern das im Leben von Menschen fruchtbar wird. Und dessen Wirken nur diese Menschen ermessen und weitergeben können.
Ich bin dankbar für das geistige, religiöse und menschliche Erbe meines Lehrers. Vor al-lem für die Freiheit des Denkens und Glaubens. Was kann ich dazu beitragen, dass Men-schen in ihrem Leben, Denken und Glauben zu freien Menschen werden? https://www.kirche-im-swr.de/?m=2364
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