SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Treibsand“ heißt das letzte Buch, das Henning Mankell veröffentlicht hat. [1] Der schwedische Schriftsteller und Theaterregisseur ist  im Oktober 2015 gestorben. In diesem Buch denkt er darüber nach, was es heißt, ein Mensch zu sein.

Den Titel „Treibsand“ verdankt der Band einem seiner Kapitel. Als Kind, so erzählt Mankell darin, hat er manchmal darüber nachgedacht, welche Todesart er am meisten fürchtet. Eine davon besteht darin, im Winter durch die Eisdecke eines zugefrorenen Sees einzubrechen und unter das Eis gezogen zu werden. Das ist in seinem Dorf einmal passiert. Das andere, wovor er sich als Kind gefürchtet hat, ist Treibsand. Er hat irgendwo gelesen, wie ein Mann auf einer Düne von einer Unterströmung des Sandes erfasst und immer tiefer hinabgezogen worden ist.

Mankell hatte Krebs, und er hat gewusst, dass es keine Chance auf Heilung gibt. Da holen ihn Jahrzehnte später seine Kindheitsbilder wieder ein: in der Eiseskälte der Angst erstarren; in der Resignation ersticken. So zu reagieren, jetzt, mit dieser Diagnose, das will er auf keinen Fall. Und es gelingt ihm zu widerstehen: nicht vom Leben ablassen, das Bücherregal weiter mit neuen Büchern füllen und viel lesen, schöpferisch tätig sein, so lange es geht.

Das letzte Kapitel seines Buches ist überschrieben: „Sich nie die Freude nehmen lassen.“ Darin schreibt Mankell: „Vor allem lebe ich in der Erwartung neuer begnadeter Augenblicke. In denen mir niemand die Freude nimmt, selbst etwas zu schaffen oder etwas zu sehen, was andere geschaffen haben. Augenblicke, die kommen, die kommen müssen, wenn das Leben für mich einen Wert haben soll.“[2]

Das ist eine ermutigende Aufforderung, dem Leben zu vertrauen, auch wenn sein Ende unausweichlich vor Augen steht. Die meisten Menschen kennen das: Angst davor, wie das Leben weitergehen soll; Schicksalsschläge, die sie resignieren und fast verzweifeln lassen. Viele müssen im Angesicht des nahen Todes leben. Immer wieder erlebe ich Menschen, die auch in der Schwäche stark sind. Gläubige Menschen suchen Halt im Vertrauen auf Gott. Nicht allen ist das gegeben. Ich wünsche mir, dass ich in schweren Lebenskrisen erkennen kann, wovon Mankell spricht: diese „begnadeten Augenblicke“; Augenblicke der Freude, die mir nichts und niemand nehmen kann. Augenblicke, die mein Leben wertvoll erscheinen lassen, auch wenn es bedrängt ist.

 

[1]Henning Mankell, Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein, Wien 2015.

[2] A. a. O. 380.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23636
weiterlesen...