SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ganz oben auf dem Berg steht eine kleine Kapelle. Einsam, in aller Abgeschiedenheit der Höhe. Sie ist nur durch einen schmalen Fußweg zu erreichen. Ein kleines, einfaches Kirchlein aus Holz.
Das liegt sicher daran, dass es nicht einfach war, das Baumaterial hinauf zu schaffen. Zum anderen ist ein besonderer Bau da oben auch gar nicht nötig. Berg und Landschaft sprechen für sich.

Hier oben ist alle Kunst und alles Können nichts. Nichts anderes als purer Schnickschnack, kaum einer Rede wert im Angesicht von Himmel, Berg und Welt.

Ich komme gern zu dieser Kapelle auf dem Berg. Hier oben weht ein anderer Wind. Es herrscht auch eine andere Stille. Hier oben, direkt unterhalb des Himmels, äußern sich Mächte und Gewalten noch einmal ganz anders. In Wetter und Sturm, aber ebenso auch in der Schönheit und Weite der Natur.

Wie groß und weit, wie schön und still ist diese Welt. Wie intensiv der Duft der Blumen, Kräuter, Tannen. Wie rein die Luft. Wie klar und weit der Blick.

Man kann es sehen und spüren: All die Dinge, von denen ich sonst meine, dass ich auf sie angewiesen wäre in meinem Leben da unten im Tal, all die Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten, und besonders auch die vermeintlichen Sicherheiten, all das verblasst hier oben. Hier werden sie klein und nichtig.

Wie ich selbst, wenn ich langsam, Schritt für Schritt, diesen Berg besteige, und mir mit jedem Schritt bewusster wird, dass dessen Zeiten und Gezeiten, die Dauer meines Menschenlebens in einer Weise überragen, dass ich es kaum fassen kann.

Ich finde diese Erfahrungen und Gedanken wichtig. Sie bringen mich immer wieder dazu, Kapellen auf einem Berg aufzusuchen und einzutreten, um in der Stille und Abgeschiedenheit dieses Ortes nachzudenken über das Woher und Wohin meines Lebens, im trauten Zwiegespräch mit Gott.

Wenn ich dort oben Passagen meines Lebens noch einmal bedenke, dann passiert es immer wieder, dass ich sie anders sehe. Auf einmal kommt mir mancher Weg, gar nicht mehr so steinig und schwer vor als damals, da ich ihn gegangen bin.

Und andere, von denen ich dachte, sie wären leicht und schnell zu gehen, kosteten mich viel mehr Mühe und Kraft als gedacht. Auch mancher Irrweg steht mir nun deutlich vor Augen. Aber auch jene Wegstrecken meines Lebens, in denen Gott mich getragen und geführt hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23605
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