Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich bin so froh! Jeden Tag geht die Sonne jetzt wieder eine Minute früher auf als am Tag zuvor. Ungeduldig schaue ich beim Aufstehen: Wie ist es heute, wie dunkel ist es noch, wie hell ist es schon? Es ist wie das Aufwachen aus einem langen dunklen Traum. Es wird wieder besser! Es wird wieder heller! Jeder kann es sehen und miterleben. Sonnenlicht beeinflusst uns Menschen sehr stark. Dunkelheit drückt aufs Gemüt. Wenn es wieder heller wird, werden auch viele Gedanken wieder heller. Es gibt Menschen, die immer, sommers wie winters jeden Morgen sehnsüchtig darauf warten, dass es hell wird. Kranke sind oft froh, wenn die lange Nacht zu Ende ist. Und alle, die Kummer haben, ebenso. Wer nachts arbeitet, wartet darauf, erlöst zu werden von der nächtlichen Anstrengung. So sehr kann ein Mensch auf den Morgen warten.

„Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als der Wächter auf den Morgen“ heißt es in einem Psalm (Psalm 130,6). Wie ein Wächter auf den Morgen wartet, können alle nachfühlen, die Kummer haben und darauf hoffen, dass der Kummer weniger wird, dass Gott ihnen hilft, das sie wieder Licht sehen am Ende ihrer seelischen Dunkelheit. Wie schwer ist es, Kummer auszuhalten! Wie lange das oft dauert. Und wie groß der Wunsch, es soll leichter werden und heller. Gleich, sofort. Und wieviel Geduld das kostet.

Wie gut, wenn dann Menschen zur Seite stehen. Damit meine ich gute Freundinnen und Freunde und andere Begleiterinnen und Begleiter, die mit-warten. Die daran erinnern, nicht aufzugeben, sondern geduldig zu bleiben. Und die – vor allem – keinen Druck machen, dass es schneller gehen soll. Denn so wenig wie ein Mensch den Sonnenaufgang herbeizwingen kann, so wenig kann ein Mensch erzwingen, dass es seiner Seele gut geht. Deshalb sind liebe Menschen an der Seite so wichtig. Sie helfen, indem sie mit-warten, solange es noch dunkel ist. So lange mit-warten, bis es hoffentlich wieder hell wird.

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