SWR2 Wort zum Tag

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La Bohème - heute vor 121 Jahren wurde diese Oper in Turin uraufgeführt, Toscanini stand am Pult. Der heutige 1. Februar, ist kirchlich gesehen der vorletzte Tag des Weihnachtsfestkreises, und das passt auch zu dieser Oper, denn sie spielt an einem Heiligen Abend. La Bohème ist sicher eine der beliebtesten und meistaufgeführten Opern der Welt. Ich glaube, dass liegt daran, dass sie eine Oper für die kleinen Leute ist. Sie erzählt von einfachen Menschen, von einer armen, kranken Näherin, von verkannten Künstlern, die sich nur knapp über Wasser halten können. Es sind keine großen tragischen Helden, die hier auf die Bühne treten. Puccini lässt seine betörenden Melodien von den kleinen tragischen Helden des Alltags singen. Man muss nicht Shakespeare gelesen haben, um zu verstehen, worum es in dieser Oper geht. Es sind keine Königskinder, die sich ineinander verlieben oder sich zu Tode bringen, bei Puccini kommen die Dramen vor, die sich auch um die Ecke ereignen könnten. Das konnten und können noch die ganz kleinen Leute nachvollziehen. Es ist ein bisschen wie in der Lindenstraße, die auch seit Jahrzehnten erfolgreich die Alltagsdramen erzählt, die sich in der Nachbarschaft ereignen - nur dass Mutter Beimer nicht so schön singt wie Mimi.

Ein Drama mit kleinen Leuten passt nun ebenfalls zum Weihnachtsfestkreis. Denn auch Jesus wurde nicht in einem Palast geboren, sondern in ärmlichen Verhältnissen, und es sind - jedenfalls nach dem Lukasevangelium - einfache Hirten, die als erste zur Geburt gratulieren. Bei Lukas werden die Hauptrollen nicht nach Rang verteilt - im Gegenteil. Das Kind, das die Hirten anbeten, wird später sein Leben hingeben für alle Menschen und dabei keine sozialen Unterschiede machen. Auch bei Puccini findet sich das Motiv des Opfers. Als Mimi todkrank ist, opfern die Freunde ihre kostbarsten Besitztümer, um Mimis letzten Wunsch zu erfüllen und ihr einen Muff zu kaufen. Dass kleine Leute so groß handeln können, dass einfache Menschen mehr schenken können als reiche Leute - auch diese revolutionäre Botschaft lässt La Bohème erklingen, verbunden mit der Kritik an einer Gesellschaft, die soziale Ungerechtigkeiten produziert, die Menschen krank machen und sterben lassen. Wie singt die Jungfrau Maria nach der Verkündigung des Engels: Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und lässt die Reichen leer ausgehen. Auch Kritik an ungerechten Verhältnissen gehört zu Weihnachten. Bei aller melodischen Harmonie sind das durchaus Motive, die La Bohème langfristig aktuell wirken lassen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23582
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