SWR2 Wort zum Tag

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Eine Freundin von mir ist in Sachen Weihnachten ganz traditionell eingestellt. Ihr Weihnachtsbaum wird gerade erst langsam abgeschmückt und übermorgen aus dem Wohnzimmer geräumt. In der Tat galt lange Zeit dieser Tag, im kirchlichen Kalender Mariä Lichtmeß, als letzter Tag der Weihnachtszeit. Die Kirche dachte daran, dass Maria und Josef das Jesuskind nach Jerusalem brachten, vierzig Tage nach der Geburt war es für eine Frau nach den rituellen Waschungen wieder möglich, den Tempel zu betreten. Die Darstellung Jesu im Tempel ist also der letzte Akt der Weihnachtsgeschichte, die von der Geburt des Gotteskindes erzählt, und deshalb behält meine Freundin ihren Baum bis zum letzten Tag. Dann muss sie sehen, wie sie ihn zur Entsorgungsstelle bringt, die Müllmänner haben alle anderen Bäume bereits in der zweiten Januarwoche eingesammelt.

Mir persönlich gehen Weihnachtsbäume schon in der ersten Januarwoche auf die Nerven. Möglicherweise liegt es daran, dass sie mir mit ihren immer trockener werdenden Ästen und den rieselnden Nadeln eher die Vergänglichkeit alles Irdischen als das lebensspendende Licht der Welt vor Augen halten. Ich singe auch nach dem Jahreswechsel nicht mehr „O du fröhliche“. Insofern käme ich niemals auf die Idee, bis Februar Weihnachten zu feiern. Dennoch hat die Haltung meiner Freundin auch etwas für sich. Sie ist ein gutes Beispiel für Entschleunigung. Während ich schon vor Silvester Engel und Fenstersterne wieder in die Kiste für den Dachboden räume, lässt sie sich Zeit. Meine Freundin geht tatsächlich den ganzen Weg des Weihnachtsfests - von der Krippe bis zum Tempel im Jerusalem. Dadurch erlebt sie jede Etappe des Fests intensiver. Mag sein, sie hat so letztlich mehr davon als ich.

Es ist ja doch eine Illusion, dass man durch immer neue Aktivitäten und Tempo mehr vom Leben hat oder auch nur besser arbeiten kann. Mariä Lichtmeß wird mich zwar nicht davon überzeugen, länger Weihnachten zu feiern. Aber es wäre nicht schlecht, darüber nachzudenken, was ich wirklich vom ersten bis zum letzten Schritt erleben und auskosten möchte und wie ich Tempo aus dem Alltag nehmen kann. Mein Pfarrerkollege hat letzte Woche zu mir gesagt: „Vergiss nicht, morgen ist wieder Weihachten.“ Wir haben zwar gelacht, aber richtig witzig ist es nicht, dass das Jahr schon jetzt viel zu viel Hektik entwickelt hat. Früher wurden an Mariä Lichtmeß die Kerzen für das ganze Jahr gesegnet. Vielleicht geht mir ja in Sachen Entschleunigung ein gesegnetes Licht auf.

 

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